April 2010: - Reisen im Schatten des Vulkans Eyjafjallajökull -

 

 

 

Die Flugasche des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull hatte grosse Auswirkungen auf den Flugverkehr in Nord- und Mitteleuropa. So waren zahlreiche Flughäfen vorübergehend geschlossen. Die europäischen Bahnen bewältigten ein sehr grosses Reiseaufkommen im internationalen Verkehr.

Auch in der Schweiz waren die Auswirkungen spürbar und deshalb hat die SBB allen Reisenden im internationalen Verkehr empfohlen, zwingend eine Sitzplatzreservierung vorzunehmen und allen Reisenden ohne gültige internationale Sitzplatzreservierung von einer Reise ins Ausland abgeraten.

Aufgrund der Aschewolke über Europa hat die Deutsche Bahn auf die erhöhte Anzahl an Reisenden auf vielen Strecken reagiert. Alle verfügbaren Züge waren im Einsatz und zusätzliche Mitarbeiter standen als Reisendenlenker und Ansprechpartner auf den Bahnhöfen bereit.

Die Mitteilung der Deutschen Bahn AG: "Da das Reisendenaufkommen am Wochenende generell am höchsten ist, kann es teilweise zu vollen Zügen und Wartezeiten für Fahrgäste kommen. Leider konnten wir für diese Ausnahmesituation keine Vorbereitungen treffen. Alle verfügbaren Kräfte arbeiten aber mit Hochdruck daran, die Einschränkungen für die Reisenden so gering wie möglich zu halten“, so Ulrich Homburg, Vorstand Personenverkehr der Deutschen Bahn AG. Wir bitten um Verständnis, wenn es dennoch auf einzelnen Linien zu vollen Zügen kommt. Die Lufthansa hat für Flugausfälle oder verpasste Anschlussflüge mit der DB das Kooperationsangebot "Good for Train" abgeschlossen. Flugreisende, die ihre Flüge nicht antreten können, können sich am Check-in-Schalter ihre Flugtickets für die eingetragene Strecke als Reisegutschein (Voucher) für die Deutsche Bahn ausstellen lassen. Wichtig ist, dass sich Fluggäste mit einem elektronischen Ticket (etix) vor Reiseantritt einen Reisegutschein (Voucher) abholen müssen. Bei internationalen Flügen muss der Flug-Coupon im Reisezentrum gegen eine Fahrkarte eingetauscht werden."  

 

Gut hatte ich meine Reise mit der Bahn schon vorher geplant, ansonsten wäre ich wegen dem Eyjafjallajökull mit seiner Asche und der damit verbundenen Luftraumsperre und den (zu erwartenden) überfüllten Zügen erst gar nicht auf die Idee gekommen zu reisen. Und im Nachhinein kann ich sagen: Das muss man einmal erlebt haben, mit der Betonung auf einmal.... 

Was ich in diesen Tagen in Deutschland erlebt habe waren zwar sehr volle und teilweise auch total überfüllte Züge, die jedoch erstaunlich pünktlich verkehrten. Ich würde fast sagen, die Verspätungen hielten sich "im normalen Rahmen". Das Bahnpersonal in den Zügen war recht freundlich und die Reisenden hatten grosses Verständnis für die ausserordentliche Situation und nahmen es mehr oder weniger gelassen.

 

Dennoch gab es Erlebnisse, über die ich hier noch berichten möchte: Am Dienstag 20. April 2010 hatte ich einen Sitzplatz im Nachtzug IC 2020 von Frankfurt (M) Hbf nach Hamburg Hbf gebucht. Dieser Zug verkehrt die Nacht hindurch und verlässt den Hauptbahnhof in Frankfurt am Main abends um 23.24 Uhr und trifft dann morgens um 06.51 Uhr in Hamburg Hbf ein. Es ist aber kein "eigentlicher Nachtzug" und er hat auch keine Schlaf- oder Liegewagen, sondern nur Sitzplatzwagen. Wie es die Zugbezeichnung IC 2020 auch aussagt ist es eben ein Intercity. Der Zug verkehrt auch nicht auf dem direkten Weg, sondern via Rheinstrecke - Köln - Dortmund - Bremen nach Hamburg. Normalerweise führt der IC 2020 unter der Woche 6 Wagen in 2. Klasse und ein Wagen 1. Klasse.  Die Wagen der zweiten Klasse tragen die Bezeichnung Bvmz und sind in der Regel deklassierte 1. Kl.-Wagen (Avmz), aussen jedoch klar als 2. Klasse angeschrieben. Innen in den Sechserabteilen für die 2. Klasse jedoch angenehm und mit mehr Platz, halt eben wie 1. Klasse.....

An diesem Dienstagabend (und wohl auch noch an den anderen Tagen mit Flugsperre) wurden in Frankfurt (M) Hbf an der Spitze des Zuges je ein zusätzlicher 1. Klasse und ein 2. Klasse - Wagen beigestellt. Der IC 2020 war also hinter der Lok wie folgt formiert: 1 A (1.Kl.) - 7 B (2.Kl.) - 1 A (1.Kl.). Bereits bei der Abfahrt am Frankfurter Hauptbahnhof war der Zug recht gut belegt, bereits nach dem ersten Zwischenhalt in Frankfurt (M) Flughafen Fernbahnhof (ab: 23.38 Uhr) jedoch total überfüllt. Schon bei der Einfahrt in diesen Bahnhof hat man durchs Zugfenster gesehen, dass der Bahnsteig voll von Reisenden war, welche vermutlich alle mit "unserem Zug" mitfahren wollten.

 

Zwei Sitzplätze hatten wir in unserem 6-er Abteil noch anzubieten. Es sind zwei "Flugpassagiere" hinzugekommen, die uns erzählten, dass sie seit dem vergangenen Samstag in der Türkei auf ihren Rückflug nach Deutschland gewartet hätten. Weil nun die Flugsperre teilweise gelockert wurde hatten sie die Möglichkeit einen Flug nach Frankfurt zu buchen. Eigentlich mussten sie ja nach Hamburg, da aber der dortige Flughafen (bzw. der Luftraum) immer noch gesperrt war mussten sie nach Frankfurt ausweichen und haben von der Fluggesellschaft ein Ticket für die Fahrt mit der Bahn nach Hamburg erhalten.

 

Wer im Zug einen Sitzplatz gefunden hatte durfte sich natürlich sehr glücklich schätzen und war auch sehr zufrieden. Im Gang der Wagen war dann natürlich ein grosses Durcheinander an Gepäck und Reisenden. Einige versuchten auf ihren Koffern zu sitzen, andere lagen einfach am Boden. Während der Nacht hatte ich einmal versucht in Richtung WC zu gelangen, sah dann aber dass ein solches Unterfangen wohl aussichtslos sein wird. Bei einem zweiten Versuch (irgendwo nach Dortmund) hatte ich es dann trotzdem bis zur Toilette geschafft. Es war jedoch unmöglich diese zu benützen, da sich auch hier ein schlafender Reisender aufgehalten hat. Die Toilette im Wagen nebenan war ständig abgeschlossen. Die Mitreisenden dort sagten, es sei unmöglich dass man diesen Mann aus der Toilette herausbekommen könnte, man hätte es auch schon vorher versucht. Na ja, was wollte ich machen, den ganzen beschwerlichen Weg zurück in mein Abteil und hoffen, dass bis Hamburg alles gut geht....

Ab Frankfurt (M) Flughafen Fernbahnhof (ab: 23.38) fuhr der Zug weiter durch die Nacht über Mainz Hbf (00.01) - Bingen am Rhein Hbf (00.18) - Boppard Hbf (00.43) - Koblenz Hbf (00.57) - Andernach (01.09) - Remagen (01.21) - Bonn Hbf (01.35) ohne dass viele Reisende ein- oder ausgestiegen sind. Beim nächsten Halt in Köln Hbf (an: 01.55 / ab: 02.10) kam wieder etwas Bewegung in die Wagen: Einige Personen haben den Zug verlassen, aber noch mehr sind zugestiegen sodass der Zug nun endgültig "zum bersten voll" war.

 

Die nächsten Halte waren Düsseldorf Hbf (02.34) - Düsseldorf Flughafen (02.41) - Duisburg Hbf (02.52) - Mülheim (Ruhr) Hbf (03.00) - Essen Hbf (03.08) - Bochum Hbf (03.18) und bis zur Ankunft in Dortmund Hbf um 03.29 Uhr war der Zug erstaunlicherweise recht pünktlich. Dies war bestimmt auch ein Verdienst des Lokführers, denn der Zug fuhr an gewissen Bahnhöfen so rassig ein, dass man zuerst fast meinen könnte, er fahre ohne Halt durch. Und trotzdem hat er überall punktgenau am vorgesehenen Halteort stillgehalten.

 

In Dortmund Hbf war dann aber "das Fass endgültig voll" und nicht einmal mehr Stehplätze im Zug zu ergattern. Sprich: Man konnte praktisch nicht mehr in die Wagen zusteigen. Aus diesem Grund wurden am Schluss des Zuges zwei weitere Wagen beigestellt. Dieses Manöver verursachte dann aber fast 40 Minuten Verspätung, so dass der IC 2020 den Dortmunder Hauptbahnhof anstatt um 03.32 Uhr erst um 04.10 Uhr verlassen hat.

 

Auf der weiteren Fahrt via Münster (Westfalen) Hbf (04.17) - Osnabrück Hbf (04.50) - Diepholz (05.21) - Bremen Hbf (05.55) - Hamburg-Harburg (06.39) nach Hamburg Hauptbahnhof wurde erstaunlicherweise die ganze Verspätung wieder aufgeholt und der Zug erreichte Hamburg Hbf planmässig um 06.51 Uhr! Hier hiess es umsteigen auf den EC 31 (Hamburg Hbf ab: 07.25) in Richtung Lübeck Hbf (08.06) - Oldenburg (Holstein) (08.38) nach Puttgarden (an: 09.05). Über Lautsprecher und durch Bahnmitarbeiter auf dem Bahnsteig vor dem Zug wurden die Leute aufgefordert, dass nur Reisende mit einer Platzreservation für diesen Zug einsteigen sollen. Für alle übrigen bestehe ein Busdienst mit Bahnersatz-Bussen nach Puttgarden, wo Fahrgäste weiter in Richtung Dänemark auf die Fährschiffe umsteigen konnten. Allerdings haben sich nicht alle Leute daran gehalten und deshalb gab es auch in diesem Zug einige Stehplätze.

Der mit DSB-Wagenmaterial (zwei IC-3 Einheiten) geführte EC 31 bei der

Ankunft in Puttgarden                                                Foto: Marcel Manhart


 

 

Der EC 31 bei der Ankunft in Puttgarden                                        Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Nach kurzem Halt am Bahnsteig von Puttgarden fährt der EC 31 auf die Fähre

in Richtung Rodby nach Dänemark                                     Foto: Marcel Manhart

 

 

 

....und schon ist der ganze Zug im Bauch der Fähre!                    Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Klappe zu - und los geht's per Schiff                                             Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Eintreffen der Bahnersatz-Busse aus Hamburg in Puttgarden        Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Diese Reisenden müssen sich zu Fuss auf die Fähre begeben       Foto: Marcel Manhart

 

 

 

In Puttgarden kommen aber auch Busse aus weiter entfernten Orten ein, so wie beispielsweise dieser Reisecar aus Salzburg                       Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Und alle Fahrgäste haben das gleiche Ziel: Die Fähre nach Dänemark

 

 

 

Der Fussweg zur Fähre ist lang....                                                  Foto: Marcel Manhart

 

 

 

....und führt über die Passarelle links im Bild                              Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Nun ist die Fähre auf dem Weg nach Rodby                                   Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Und nun noch kurz ein Wort zu meiner Rückfahrt von Puttgarden nach Hamburg Hbf:

Da ich für die Rückfahrt (auch schon einige Tage vorher) keine Plätze mehr reservieren konnte und die "Erfahrungen" der Hinreise noch präsent waren, habe ich vor der Abfahrt am Schalter gefragt, ob man ohne Platzreservation den Zug benützen könne, oder ob man mit dem Bus nach Hamburg fahren soll. Denn auch jetzt sind immer noch weitere Busse aus Hamburg in Puttgarden eingetroffen. Die Antwort war klar: Die Busse sind nur in der Süd - Nord Richtung nötig, weil hier die Kapazität der Züge nicht ausreicht und verkehren anschliessend leer zurück nach Hamburg. Von Puttgarden nach Hamburg sind also die Züge zu benützen.

 

Alles klar, so warteten wir hoffnungsvoll auf den ICE 38 der Kopenhagen um 07.45 Uhr verlassen hatte und Puttgarden planmässig um 10.42 Uhr in Richtung Hamburg verlassen sollte. Da aber auch gegen 11 Uhr noch weit und breit kein Zug in Sicht war und auf dem Bahnsteig weder eine Lautsprecherdurchsage noch sonstige Informationen erfolgten begab man sich einmal mehr an den Schalter um nachzufragen, wann dann dieser Zug eintreffen werde!?!

 

Hier durfte man dann erfahren, dass der ICE 38 wegen einer technischen Störung am Zug in Dänemark ca. eine Stunde verspätet sei. Zusammen mit einer Jugendgruppe waren so schätzungsweise 50 Personen, welche auf diesen Zug warteten. Soweit so gut, da ist ja nichts zu machen. Was allen hingegen völlig unverständlich war, dass die Bahnersatz-Busse welche aus der Gegenrichtung Puttgarden erreicht haben leer ohne Reisenden zurück nach Hamburg gefahren sind.

 

Als dann der ICE 38 mit 70 Minuten Verspätung endlich eintraf war auch dieser bereits überfüllt und hatte schon bei Ankunft zahlreiche Stehplätze. Alle die in Puttgarden zusteigen wollten, mussten froh sein, überhaupt einsteigen zu können. An einen Sitzplatz war natürlich nicht im entferntesten zu denken. So sind dann auch wir in den Genuss einer gut 1 1/2-stündigen Stehplatzfahrt bis nach Hamburg gekommen......

 

 

 

Pünktlich um 11.05 Uhr ist der ICE 33 aus Hamburg in Puttgarden eingetroffen

 

 

 

Dieser Zug wurde mit zwei ICE-Einheiten geführt.   Da  jedoch nur eine Einheit auf der Fähre Platz hat,  mussten die Reisenden aus dem hinteren Zugsteil aussteigen und sich zu Fuss auf den Weg in Richtung Fähre machen         Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Und wir warteten immer noch auf einen Zug aus Dänemark, der uns nach Hamburg bringen sollte.....                                                                         Foto: Marcel Manhart

 

 

 

.....währenddem die Busse leer nach Hamburg fuhren......!             Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Wie dieses Bild zeigt, gibt es von den ehemaligen vier Gleisen die früher in Puttgarden auf die Fähre führte heute nur noch eine Verbindung.......              Foto: Marcel Manhart

 

 

 

.....und so musste auch der ICE 33 am Bahnsteig in Puttgarden warten,

bis unser Zug endlich kam!                                    Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Ohhhh, da ist er: Rechts neben dem roten LKw auf der Fähre wird der ICE 38 sichtbar

 

 

 

Auf den Eisenbahnfähren hier ist übrigens auch nur noch ein Gleis für Züge vorhanden

 

 

 

Mit 70 Minuten Verspätung fährt der ICE 38 von der Fähre....         Foto: Marcel Manhart

 

 

 

....und erreicht den Bahnsteig in Puttgarden                                 Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Links im Bild wartet immer noch der ICE 33 auf seinen Platz auf der Fähre und rechts ist der einfahrende ICE 38 nach Hamburg                                      Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Links: Der ICE 33 Hamburg-Kopenhagen         Rechts: Der ICE 38 Kopenhagen-Hamburg

 

 

 

"Unser" ICE 38 nach Hamburg......                                                 Foto: Marcel Manhart

 

 

 

....nun aber rasch einsteigen und einen Stehplatz suchen!           Foto: Marcel Manhart

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und hier noch das Reiseerlebnis von Gerd Höhler (Handelsblatt):

Danke, Eyjafjallajökull!

 

23:15

Das Geschnetzelte war nicht schlecht, auch der Dole hat mir gemundet. Ich sitze in einem Flughafenhotel in Zürich. Runder Ausklang eines Tages, der ganz anders verlaufen sollte…

 

07:00

Mein iPhone weckt mich mit sanften Harfenklängen. In drei Stunden soll mein Flieger aus Düsseldorf über Zürich nach Athen abgehen. Aber dass daraus nichts wird, weiß ich schon seit dem Vorabend. Eigentlich sollte es ein Blitzbesuch in der Handelsblatt-Redaktion sein, Freitag hin, Samstag zurück. Ich ahne: die Rückreise wird kompliziert. Nachdem ich bei mehreren Airline- und Flughafen-Hotlines Musik gehört habe und die Zusicherung „Ihr Anruf ist uns wichtig“, beschließe ich, nicht länger aud den „nächsten freiwerden Mitarbeiter“ zu warten sondern mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

 

08:20

Hauptbahnhof Köln. Die Schlangen den Schaltern sind lang. Vor mir steht ein Türke. Er will nach Istanbul. Die Bahn-Mitarbeiterin zieht die Augenbrauen hoch: „Istanbul?“ Sie befragt ihren Computer. „Die Fahrt dauert 45 Stunden“, teilt sie dem Türken mit. „Haben Sie nichts Schnelleres?“, versucht der zu feilschen, „ich muss spätestens Morgen früh da sein!“ Dem Mann kann die Dame von der Bahn nicht helfen. Mein Wunsch ist erfüllbarer: erst mal bis Zürich – in der Hoffnung, dort am Sonntag einen Flug nach Athen zu bekommen. Dann buche ich im Internet noch schnell ein Flughafenhotel in Zürich. Vielleicht esse ich heute abend ein Geschnetzeltes!

 

11:20

Ich habe eine ungute Vorahnung und gehe am Kölner Ring in ein Bekleidungshaus, kaufe drei Paar Socken, T-Shirts und Unterhosen – falls die Reise länger dauert. Zugleich fasse ich einen Beschluss: ich werde mich ab sofort weder ärgern noch schicksalsergeben abwarten sondern das Beste aus der Situation machen.

 

12:55

Hauptbahnhof Köln, Abfahrt ICE 507. Der Zug ist knallvoll, aber ich habe noch einen Platz gefunden. Der Zug fährt los. Aber nicht auf die Hohenzollernbrücke sondern in die Gegenrichtung. Dann die Durchsage: „Wegen einer Störung ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Frankfurt gesperrt, unser Zug wird über Bonn und Mainz umgeleitet.“ Ein Stöhnen geht durch den Großraumwagen, denn das bedeutet mindestens 90 Minuten Verspätung. „Wahrscheinlich wieder ein Suizid“, sagt mein Sitznachbar, der die Strecke offenbar häufiger fährt. Ich werde meinen Anschluss in Karlsruhe verpassen, nehme das aber gelassen. Da ich meine Reise ohnehin inzwischen als touristisches Erlebnis betrachte, freue ich mich auf die Fahrt am Rhein entlang.

 

14:09

Bei Stromkilometer 555 nähert sich links die Loreley – lange nicht gesehen. Camper stehen am Ufer. Familien strampeln sich auf dem Radweg  ab, Wanderer sind unterwegs.

 

14:16

Bei Lorch flitzen bunte Rennboote in einem engen Parcours über den Rhein. Je weiter wir nach Süden kommen, desto mehr sprießt das Grün in den Weinbergen, desto üppiger blühen die Obstbäume. Der Himmel ist strahlend blau, von der Aschewolke aus dem Schlund des unaussprechlichen Vulkans ist nichts zu sehen.

 

15:00

Eine Durchsage: „Wegen Verspätung endet dieser Zug heute bereits in Mannheim“. Klar, denke ich, die wollen nach Dortmund umkehren, um wieder im Fahrplan zu sein. Glück gehabt: auch mein Anschlusszug, der ICE 75 ist verspätet – und fährt nach 15 Minuten in Mannheim auf Gleis 10 ein.

 

15:44

Abfahrt Richtung Zürich. Der Zug ist völlig überfüllt. Aber ich finde einen Platz im Speisewagen. Der Herr gegenüber korrigiert mit einem roten Stift eine vielseitiges Schriftstück, das überwiegend aus komplizierten mathematischen Formeln zu bestehen scheint. Wir kommen ins Gespräch. Er gibt sich als Ökonomieprofessor von der Eidgenössischen TH in Zürich zu erkennen. Schnell sind wir bei der griechischen Schuldenkrise – ein trauriges Thema.

 

16:44

Bei Offenburg taucht ein Flugzeug am Himmel auf. Aber es ist nur eine einmotorige Sportmaschine. „Lufthansa überführt Langstreckenflugzeuge nach Hamburg, keine Zwischenfälle“, lese ich auf meinem iPhone. Ist die Aschewolke etwa so harmlos wie die Schweinegrippe?

 

17:05

Wieder eine Durchsage: „Wegen der Verspätung fährt dieser Zug heute nur bis Basel SBB“. Also noch mal umsteigen!

 

18:01 Basel ist erreicht. Jetzt fährt der Zug doch weiter bis Zürich. Der Ökonomieprofessor steigt aus. Seinen Platz nimmt eine ältere Schweizerin mit rosa Apfelbäckchen ein und beginnt sofort auf Schwyzerdütsch loszuplappern. Ich verstehe erst fast nichts, nicke aber freundlich, wenn Sie mich etwas zu fragen scheint. Allmählich höre ich mich in den Dialekt hinein. Sie erzählt von einem Museumsbesuch in Basel. Als sie hört, das ich noch Athen will und in Zürich nur übernachte, schlägt sie die Hände vors Gesicht: „Athen!!!“. Ob ich denn schon ein Bleibe hätte, sonst könnte ich gern in ihrem Gästezimmer wohnen, bietet sie an. Ich bin gerührt, lehne aber dankend ab, habe ja bereits ein Hotel gebucht. Als der Zug nach Zürich einfährt, zeigt sie auf das Gebäude von Julius Bär. „Alles Lumpen“, sagt sie. Voriges Jahr, so erzählt sie, war sie bei der Hauptversammlung der UBS – offenbar ist die Dame Aktionärin. Nach acht Stunden „Gequatsche“ hat sie die HV verlassen – „ein Kaschperltheater“ sei das gewesen. „Mit UBS habe ich fast so viel verloren wie mit Swissair“, sagt sie. Und wünscht mir eine gute Weiterreise.

 

19:20

Flughafen Zürich. Fast menschenleer. Ein Tourist fotografiert die vielen „Annulliert“ auf den Anzeigetafeln. „Ich kann Ihnen auch für Morgen keine Hoffnung machen“, sagt die Swiss-Mitarbeiterin.

 

19:25

Ich stelle mich am Fahrkartenschalter der SBB an und versuche, für Sonntag eine Zugfahrt über Mailand zu buchen. Fast alle Züge sind voll, erst am Mittag gibt es noch einen Platz . Von Mailand will ich weiter nach Ancona. Von dort gehen jeden Tag drei Fähren nach Griechenland. Wenn alles glatt geht, kann ich Mittwochabend in Athen sein.

 

23:00

Das Zürcher Flughafenhotel ist angenehm. Das Geschnetzelte, eine meiner Leibspeisen, steht auf der Speisekarte. Im Zimmer gibt es einen vernünftigen Schreibtisch, und das WLAN funktioniert, wie Sie sehen.

Gerade habe ich noch das Hotel in Ancona gebucht – die letzte Fähre legt um 17:30 an, mein Zug kommt aber erst gegen 21:00 an. Noch eine Übernachtung also.

Ich bin müde. Es war ein langer Tag – aber auch einer voller Eindrücke, Bilder und Begegnungen. Im Flieger hätte ich das alles nicht erlebt. Danke, Eyjafjallagökull!

Gerade sehe ich auf der website der Swiss: auch für Sonntag sind alle Flüge gestrichen. Mein Krisenmanagement war also bisher richtig.

Und jetzt freue ich mich auf die morgige Zugfahrt durch die Alpen.

 

Danke, Eyjafjallajökull! (2)

 

23:15

Um, wie gestern, mit Kulinarischem einzusteigen: ich habe selten so lieblos gekochte Spaghetti Vongole gegessen wie heute Abend. Aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich habe einen Großteil meiner komplizierten Heimreise hinter mir: ich sitze in einem Hotel über den Hafen von Ancona. Morgen kommt die Fähre aus Patras. Ich bin müde, aber eigentlich lief heute trotz des Chaos meine Reiseplanung so exakt wie ein Schweizer Uhrwerk. Insgeheim hoffe ich nur, dass ich vor den ersten Fliegern in Athen bin…

Der Tag begann, wo er am Samstag aufgehört hatte.

 

07:45

Im Frühstücksraum des Zürcher Flughafenhotels „Park Inn“ treffen sich die Gestrandeten: Lucy, die von Los Angeles über Zürich zur Hochzeit ihrer Nichte nach Warschau fliegen wollte; Ron aus New York, der seit Freitag auf einen Rückflug wartet; und eine fünfköpfige Familie aus Indien – die Eltern geben sich gefasst, die drei kleinen Kinder sind aber sichtlich am Ende ihrer Geduld. Durch die großen Fenster des Frühstücksraums sieht man die Schwanzflossen der geparkten Flugzeuge. Dann springt plötzlicher einer auf: „Da, es geht los“, ruft er und zeigt aus dem Fenster. Tatsächlich: drüben rollt ein Airbus übers Vorfeld. Viele greifen zu den Handys. Schon bald stellt sich heraus: Fehlalarm. Für diesen Sonntag sind in Zürich alle Flüge abgesagt. Ich muss wenigstens nicht untätig herumsitzen. Heute will ich mit dem Zug zum italienischen Ancona fahren – um von dort per Fähre nach Patras überzusetzen.

 

11:40

Mit dem Shuttlebus fahre ich zum Flughafenbahnhof. Neben mir sitzt Daniel, der zurück nach Tel Aviv will. Seine Idee: mit dem Zug nach Rom, denn der Flughafen sei ja noch offen. „Nicht mehr“, sagt Jenny, die ihren Laptop aufgeklappt hat und die Liste der geschlossenen Flughäfen vorliest. Mit ihrem Freund war die junge Britin vergangene Woche von Heathrow über Zürich nach Istanbul geflogen, Hin und Zurück für 149,00 Pfund. Jetzt meinen sie, davon müssten sie eigentlich mindestens die Hälfte zurückbekommen, Im Bus kommt das Gespräch auf die Frage, wen man verklagen könnte. Die Airlines? Die Flugsicherung? Die EU? Jake aus Bedford meint: „Island muss zahlen – schließlich ist es deren Vulkan.“ Ein anderer Bus-Passagier, Peter aus Birmingham, sagt: „Das ganze ist ein Racheakt der Isländer.“ Sie seien eben „pissed off“, weil die Ausländer ihre verzockten Bankeinlagen zurückverlangten. „Jetzt schicken sie uns ash statt cash“, sagt Peter.

 

11:55

Zürich Flughafen. Die Check In Area 3 bietet ein gespenstisches Bild. Menschenleer. Vor dem Fahrkartenschalter der SBB treffe ich Luigi aus Rom wieder, mit dem ich gestern an der Hotelbar sprach. „Alle Züge nach Rom sind bis Mittwoch ausgebucht“, sagt er verzweifelt. Gut, dass ich meine Fahrkarte nach Ancona noch gestern Abend gekauft habe.

 

12:55

Großes Gedränge an Gleis 4 im Zürcher Hauptbahnhof, wo der EC 19 nach Mailand abfahren soll. Viele Menschen mit viel Gepäck. Die Schweizer und Italiener sind fast in der Minderheit: vorwiegend US-Amerikaner und Kanadier, auch viele Reisende aus asiatischen Ländern, die hoffen, aus Italien schneller weiter zu kommen. Der Zug fährt pünktlich ein und pünktlich wieder ab. Ich habe Glück: mein Sitz 52 im Wagen 3 ist ein Fensterplatz.

 

13:30

In der Sonntags NZZ lese ich: das Zürcher Unternehmen Taxi 444 AG hat gestern ein Dänen für 4.000,- Franken nach Kopenhagen gefahren. Das ist ja noch günstig. Die hätten doch auch 4.444,44 Franken verlangen können, bei dem Namen.

 

14:30

Wir fahren auf den Gotthard zu. Ich bin die Strecke im Auto oft gefahren, aber so richtig genießen kann man sie nur aus dem Zug, wenn man nicht auf den Verkehr achten muss. Leider sieht man nicht viel von den Bergen, nur ab und zu glitzert der Schnee durch die Wolken. Eine junge Mutter mit einem wohl erst wenige Monate alten Baby kämpft sich durch den mit Gepäck vollgestellten Mittelgang. Da habe ich es leicht: mein einziger Anhang ist ein Bord-Trolley…sollte ja ein Kurztrip von 36 Stunden werden!

 

14:40

Von Frühling noch keine Spur hier oben, nur ganz vereinzelt ein paar Blüten an der Bäumen. Der Zug  scheint Mühe zu haben mit der Steigung. Jemand beginnt laut zu schnarchen. Es ist die attraktive Italienerin schräg gegenüber. Sie verpasst nicht viel. Unser Zug verschwindet in der schwarzen Röhre des Gotthardtunnels. Das ist fast wie fliegen.

 

15:26

Bellinzona – fand ich immer schon viel trister als der Name klingt. Erst recht aus der Bahndamm-Perspektive.

 

15:46

Auf die Minute pünktlich erreichen wir Lugano. Mein Sitznachbar steigt aus, ein Herr mit schwarzer Lederjacke ergattert den Platz sofort. Er bearbeitet mit den Zähnen ein Kaugummi, leider aber meist mit offenem Mund. Wenn er ihn schließt, wird es nicht viel besser. Dann dringen seltsam knackende Geräusche nach außen. Vielleicht ein schlecht sitzendes Gebiss? Ich ahne: die Stunde bis Mailand wird lang.

 

16:52

Endlich sind wir da. Beim Aussteigen höre ich Griechisch. Offenbar bin ich nicht der einzige mit Ziel Hellas. Auf dem Bahnhof herrscht das totale Chaos. Von Gleis 3, wo wir angekommen sind, bis Gleis 15, wo es weitergehen soll, brauche ich eine geschlagene Viertelstunde. Immer wieder stecke ich minutenlang fest in einem Knäuel aus Menschen, Kindern und Koffern. Wenigstens im Anschlusszug ist jede Menge Platz. Es ist der Eurostar nach Napoli. Vielleicht will unter der Wolke keiner an den Vesuv? Ich fahre auch nur bis Bologna mit.

 

17:45

Auf halber Strecke dorthin kommen zwei Kellner mit der rollenden Minibar vorbei. Sie tragen weiße Handschuhe. Auch das hätte ich im Flieger nicht geboten bekommen.

 

18:20

Pünktlich ist der Eurostar in Bologna. Auch hier viel Betrieb für einen Sonntag. Und der Hinweis auf der elektronischen Anzeigetafel: „Alle Züge nach Nordeuropa sind ausgebucht bis Freitag, 23.4.“ Aber wer will von hier nach Nordeuropa? Die Abendsonne taucht die Kuppeln und Kirchtürme in ein mildes, warmes Licht. Die Kastanien stehen in voller Blüte. Aus einem offenen Fenster schallt Musik zum Bahnsteig herüber: „volare, cantare…“. Cantare: ja. Volare nein.

 

19:45

Im Anschlusszug. Bei Rimini bricht die Dämmerung herein. Es zieht sich. Ich hätte in Zürich doch einen Krimi kaufen sollen. Den iPod habe ich auch in Athen vergessen.

 

20:49

Sechs Minuten vor dem Fahrplan kommt mein Zug in Ancona an. Es ist kühl. Zehn Minuten warte ich am Bahnhof auf ein Taxi. Das Hotel über dem Hafen kenne ich aus den 80er Jahren. Es hat inzwischen einen neuen Namen, sich aber nicht wirklich verbessert. Immerhin gibt es jetzt WLAN. Gleich werde ich ins Restaurant runtergehen und Spaghetti Vongole bestellen – das wird ein Fehler sein, wie ich inzwischen weiß.

 

23:15

Aus meinem Zimmer sehe ich auf den Hafen hinab. Dort müsste Morgen gegen elf Superfast VI aus Patras anlegen. CNN meldet gerade, ab Morgen werde wohl wieder geflogen. Ich bin trotzdem froh, schon mal hier zu sein – auch wenn ich vielleicht zwölf Stunden später in Athen bin, als die ersten Flieger.