Der Bund möchte unrentable Bahnlinien vermehrt durch Busverbindungen ersetzen lassen. Die Kantone sollen für jede zweite Linie eine bessere Lösung suchen. 175 von 300 Regionalbahnen wären so laut einem Bericht gefährdet. Betroffen sind vor allem Randregionen.
Sollen in Randregionen vermehrt Busse die Züge ersetzen? Foto: Marcel Manhart
Bei seinen Sparbemühungen nimmt der Bundesrat den Regionalverkehr ins Visier. Im Auftrag der Regierung hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) diese Woche ein Projekt in die Konsultation geschickt, welches regionale Bahnlinien mit tiefer Rentabilität infrage stellt: «Der Bundesrat erwartet, dass bei diesen Linien gezielt und flächendeckend geprüft wird, ob zum Bahnangebot nicht wirtschaftlichere Alternativen (. . .) bestehen und somit eine Umstellung von Bahn auf Bus vorzunehmen wäre», schreibt das Amt darin.
Ins Visier geraten dabei nicht weniger als 175 von gegenwärtig 300 Regionallinien, wie aus den Unterlagen hervorgeht. «Es müsste somit in Zukunft bei ungefähr jeder zweiten Linie vor Investitionen in grössere Betriebsmittel geprüft werden, ob nicht wirtschaftlichere Alternativen bestehen», schreibt das BAV. Dabei machen die Experten auch deutlich, dass es kaum genügen wird, dazu bloss in den Randstunden Züge durch Busse zu ersetzen. «Es hat sich wiederholt gezeigt, dass substanzielle Kostenersparnisse und Effizienzgewinne nur dann realisiert werden können, wenn die ganze Schieneninfrastruktur aufgehoben werden kann.»
Hintergrund der Vorschläge ist die Aufgabenüberprüfung des Bundes, mit welcher die Regierung den Staatshaushalt substanziell entlasten will. Die Reform des Regionalverkehrs soll dazu einen Beitrag leisten, indem sie den Bund von Subventionspflichten entlastet. Denn er bestellt und finanziert den Regionalverkehr zusammen mit den Kantonen. Dabei ist der Bund von der Zweckmässigkeit der Investitionen offenbar nicht restlos überzeugt, weshalb er die Kriterien nun verschärfen will. Als Strecken mit tiefer Rentabilität will er all jene betrachten, die einen Kostendeckungsgrad von weniger als 50 Prozent aufweisen.
Branche fürchtet um Qualität
Wie einschneidend diese Definition ist, zeigt der Blick in einige der betroffenen Kantone: So wies etwa Appenzell-Ausserrhoden 2009 keine Regio-Strecke auf, welche diese Vorgabe erfüllt. Die Verbindungen der Südostbahn nach St. Gallen, Romanshorn oder Rapperswil verfehlten die Quote allesamt. In Luzern trifft dies etwa auf die Linien nach Giswil und Dallenwil zu, im Berner Verkehrsverbund sind es beispielsweise die S-Bahn-Strecken Bern–Freiburg, Bern–Burgdorf–Langnau oder Thun–Burgdorf.
Entsprechend kritisch nimmt die ÖV-Lobby die Pläne auf. Mit 50 Prozent Kostendeckung setze der Bund das Kriterium sehr hoch an, sagt Ueli Stückelberger, Direktor des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV), und warnt davor, die Übung zu übertreiben. Umstellungen dürften nur dort gemacht werden, wo der Bus, etwa durch mehr Haltestellen oder bessere Frequenzen, auch dem Passagier einen klaren Mehrwert biete. Noch kritischer äussert sich der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS). Die Tarife für den öffentlichen Verkehr stiegen ständig, nun dürfe man im Gegenzug nicht auch noch Abstriche bei der Qualität machen, sagt Sprecher Gerhard Tubandt. Genau solche würden bei der Umstellung von Bahn auf Bus aber drohen. Denn der Bus sei in der Regel länger unterwegs und biete weniger Reisekomfort als der Zug.
Kantone opponieren
Auch die Kantone, an die sich die Verordnung richtet, lehnen das Vorhaben ab. Als Besteller würden sie schon heute wirtschaftliche Aspekte in ihre Angebotsplanung einbeziehen, sagt Benjamin Wittwer, Generalsekretär der Konferenz der Verkehrsdirektoren. Die Definition neuer Prüfkriterien dürfe nun nicht dazu führen, dass gegen ihren Willen Strecken umgestellt werden müssten. Wittwer gibt zudem zu bedenken, dass eine Umstellung nicht per se Kostenersparnisse mit sich bringe. Dies mahnt auch VöV-Direktor Stückelberger an. Er geht davon aus, dass das Potenzial für Umstellungen letztlich sehr gering ist. Es drohe daher viel Aufwand für wenig Ertrag.
Die Verfechter des Bahnverkehrs dürfen darauf hoffen, dass sich auch im federführenden BAV die Freude an den Plänen in Grenzen hält. Es betont in seinen Erläuterungen jedenfalls auffällig häufig, dass es sich um einen Auftrag des Bundesrates handle, und hat in der Umsetzung einige Bremsen eingebaut. So soll die Überprüfung für einen Teil der betroffenen Bahnstrecken erst dann erfolgen, wenn grössere Investitionen anstehen. Nur für Strecken mit einer Kostendeckung von unter 30 Prozent wird sie regelmässig verlangt.
Ewige Mehrwertsteuer
Allen Sparplänen zum Trotz wird bei der Bahninfrastruktur in Zukunft wohl kräftig zugebaut. Die Verkehrskommission des Ständerates hat diese Woche für die nächsten Schritte 6,4 Milliarden Franken beantragt. Dazu will sie ab 2018 einen Teil des Mehrwertsteuerzuschlags umleiten, den das Volk bis Ende 2017 für die IV gesprochen hat. Und bereits ist absehbar, dass auch der Rest dieses eigentlich befristeten Zuschlags politisch verplant werden könnte. CVP-Fraktionschef Urs Schwaller sagt, er würde die verbleibende Milliarde gerne nutzen, um Reformen bei der Familienbesteuerung zu finanzieren. SP-Präsident Christian Levrat denkt derweil an Investitionen in die Sozialversicherungen.
Pro Bahn Schweiz gegen Kahlschlag bei den Regionalbahnen
Pro Bahn Schweiz, die Interessenvertretung der Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs hat mit Erstaunen von den Ideen des Bundesamts für Verkehr Kenntnis genommen, wonach 175 von 300 Regionallinien stillgelegt und allenfalls auf Busbetrieb umgestellt werden sollen.
Nicht die gleichen Fehler wie in Deutschland
Gemäss Pro Bahn Schweiz ist es nicht unbedingt notwendig, die gleichen Fehler wie in Deutschland zu machen. Dort hat die Deutsche Bahn viele Regionallinien aufgehoben. Einige Jahre später wurden
durch die Bundesländer diese Regionalbahnen wieder mit grossem Aufwand instand gestellt. Es wäre deutlich ökonomischer und ökologischer, die Linien laufend zu unterhalten und die Regionalbahnen
mit low cost-Fahrzeugen zu betreiben. Thurbo zeigt dies in der Ostschweiz vorbildlich.
Kantone und Bürgerschaft stehen hinter dem Regionalverkehr
Viele Kantone haben sich in jüngster Vergangenheit eindeutig hinter den Regionalverkehr gestellt. Sie stehen hinter dieser Verantwortung und nehmen als Besteller von Leistungen der SBB auch die
entsprechenden Kosten auf sich. Die Bürgerschaft steht eindeutig hinter dieser Politik, wie die 80 % Zustimmung der St. Galler Bevölkerung zum Ausbau der S-Bahn St. Gallen zeigt. Diese wird mit
Fahrplanwechsel 2013 in Betrieb gehen.
Pro Bahn Schweiz fordert das Bundesamt für Verkehr und deren Vorsteherin, Frau Bundesrätin Leuthard auf, keine Politik gegen die Regionen, die Kantone und deren Bevölkerung zu machen. Gefragt ist eine Verkehrspolitik in den Regionen mit Augenmass, bei der auch weiterhin das Ziel der Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene eine grosse Rolle spielen soll.