Fit sein heisst in die Zukunft investieren. Diesen Grundsatz beherzigten auch viele Meterspurbahnen in der Schweiz. Als Bindeglied von Stadt, Agglomeration und Land und mit der Aufgabe der Grunderschliessung, des Tourismus wie des Pendlerverkehrs haben sie in Infrastrukturen und Fahrzeuge investiert. Der Erfolg kann sich sehen lassen, alleine schon aufgrund der steigenden Fahrgastzahlen. Umgekehrt verpflichtet er die Unternehmen und die öffentliche Hand die Investitionspolitik fortzusetzen.
Von Dr. Hans-Bernhard Schönborn - Litra Artikelserie «ÖV – Fit für die Zukunft» (2/4)
Die Rhätische Bahn ist sowohl Ausflugs- als auch S-Bahn Foto: Marcel Manhart
Der Band 1 des Offiziellen Kursbuches der Schweiz weist auf 74 Kursbuchfeldern, was etwa 40 Prozent aller Kursbuchfelder entspricht, «Meterspurbahnen» auf, welche von 39 Bahngesellschaften betrieben werden.
Im Tessin gibt es nur vier Meterspurstrecken, davon zwei touristische. Ende der Sechzigerjahre wurden zahlreiche Nebenlinien durch Autobusse ersetzt. So blieb im Grossraum Lugano von vier Bahnen nur die rund 12 Kilometer lange Ferrovia Lugano – Ponte Tresa (FLP). Sie ist als S60 in das Tessiner S-Bahn-System integriert und verkehrt seit Dezember 2007 – nach dem Bau von drei Doppelspurinseln in den Jahren 2004/05 – an Werktagen tagsüber alle 15 Minuten. 2002 wurden die Trieb- und Steuerwagen aus dem Jahre 1978 durch einen niederflurigen Zwischenwagen ergänzt, so dass auch Fahrgästen mit eingeschränkter Mobilität die Benutzung erleichtert wird. Die Fahrgastzahlen stiegen zwischen 2000 und 2010 ständig, von knapp 1,4 auf etwa 1,9 Mio.. Dies zeigt die Bedeutung des schienengebundenen Verkehrs in Agglomerationen und sollte Anlass sein, Pläne für ein Strassenbahnsystem rund um Lugano zu fördern.
Von den 21 Schmalspurbahnen in der Romandie ist bisher keine in ein S-Bahn-System eingebunden, obwohl viele Bahnen Zubringerdienste in die grossen Städte und zu den Hauptstrecken Genf – Lausanne – Brig bzw. Lausanne – Biel – Olten und Lausanne – Bern leisten. Die knapp 24 Kilometer lange, meterspurige Strecke Lausanne – Echallens – Bercher (LEB) hat sich jedoch zu einer Art S-Bahn entwickelt: In weniger als zehn Jahren wuchs, durch die rasante Entwicklung der Gemeinden entlang der Bahn, das Verkehrsaufkommen um 100 Prozent, 80 Prozent der Fahrgäste sind Pendler. Der im Jahr 2000 eröffnete Tunnelbahnhof Lausanne-Flon bietet gute Umsteigemöglichkeiten zu anderen Verkehrsangeboten. Die sechs 2010 von der LEB in Betrieb genommenen Züge vom Typ RBe 4/8 bieten z. B. durch ebenerdige Einstiege mehr Komfort. Weitere Ballungsräume entlang des Genfer Sees entwickeln sich ebenfalls stark, z. B. entlang der Linie Nyon–St-Cergue–La Cure-Bahn, so dass vermehrte Investitionen in den schienengebundenen Nahverkehr angezeigt erscheinen.
Von den 48 Schmalspurstrecken in der Deutschschweiz sind 14 in S-Bahn-Systeme eingebunden, u. a. auch die einzige Strecke mit einer Spurweite von 750 mm. Einige Linien dienen grösstenteils dem S-Bahn-Verkehr, andere sind mehr touristisch ausgerichtet, führen aber auf Teilstrecken S-Bahn-Verkehr durch.
Im Folgenden sollen drei sehr unterschiedliche Bahnen exemplarisch genauer betrachtet werden:
Die als Strassenbahn konzipierten Strecken Aarau – Menziken und Aarau – Schöftland der Wynental- und Suhrental-Bahn (WSB) wurden 1967 durch einen Tunnel verbunden. Sie sind seit 2002 unter der
Dachmarke AAR bus+bahn firmiert. Um die Zahl der Unfälle mit Strassenverkehrsfahrzeugen zu verringern, die Geschwindigkeit zu erhöhen und damit die Fahrzeiten zu verkürzen, war eine
ständig erweiterte Eigentrassierung für die WSB sehr wichtig: 1985 in Gränichen, 2002 in Reinach Nord – Menziken, 2004 in Muhen und 2010 in Aarau – Suhr. Durch die Eigentrassierung sind
Geschwindigkeiten bis 80 km/h möglich und auch die Verkehrssicherheit wurde deutlich verbessert. Um die Zugangsmöglichkeiten für Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität weiter zu verbessern,
erhält der WSB-Bahnhof Aarau einen neuen Mittelperron samt Rampe. Die Kosten von rund 14 Mio. Franken teilen sich die WSB, der Bund und der Kanton Aargau. 2008 wurde der Fahrplan werktags von
morgens früh bis 20 Uhr auf einen 15-Min-Takt verdichtet, wobei die zweiteiligen Garnituren in den Spitzenzeiten in Doppeltraktion fahren. Sonntags besteht ein 30-Min-Takt. Um den Betrieb der
werktags verkehrenden 200 fahrplanmässige Züge und 33 Bahnhöfe und Haltestellen zu steuern, wird der Verkehr in der Leitzentrale Aarau zentral gesteuert.
Um den im S-Bahn-Verkehr wichtigen, schnellen Fahrgastwechsel zu fördern, haben fast alle Züge einen Niederflurbereich: die ab 2010 aus den WSB-ABe 4/8 (1992/93 gebaut) und den von der BDWM gekauften Be 4/8 zusammengestellten Doppeltriebwagen und die Be 4/4-Triebwagen (1978/79) mit den fest gekuppelten Niederflur-Steuerwagen ABt 51 – 61 (Baujahr 2008/09). Und so gibt es nur noch zwei Hochflurzüge mit BDt-Steuerwagen. Bereits 2009 wurde ausserdem zur Komfortsteigerung die 1. Klasse eingeführt.
Die beschriebenen Investitionen und Anstrengungen blieben nicht ohne Wirkung. Die Steigerung der Fahrgastzahlen der AAR bus+bahn ist beeindruckend: 1960 3,3 Mio., 2000, 4,0 Mio., 2004 4,2 Mio., 2007 4,9 Mio. und 2010 schliesslich 5,7 Mio. Passagiere. 80 Prozent der Reisenden sind Pendler.
Die zb Zentralbahn, 2005 aus der Luzern–Stans–Engelberg- und der Brünig-Bahn der SBB entstanden, steht für das Miteinander von Ausflugs- und S-Bahn-Verkehr. Bei steigenden Fahrzahlen auf den touristischen Strecken Luzern – Engelberg bzw. Interlaken Ost und dem Pendlerverkehr auf den S-Bahn-Linien Luzern – Dallenwil bzw. Giswil sowie zwischen Meiringen und Interlaken Ost transportierte die zb 2011 7,25 Mio. Fahrgäste, was knapp 20.000 Kundinnen und Kunden pro Tag entspricht. In den letzten Jahren hat die zb – unterstützt von Bund, Standortkantonen und -gemeinden – viel Geld in die Infrastruktur investiert: Der Stocktunnel, auch «Engelbergtunnel» genannt, kostete zwar wegen geologischen Problemen das 2,5fache der anfangs kalkulierten 68 Mio. Franken. Er ermöglicht seit seiner Inbetriebnahme im Dezember 2010 jedoch markante Angebotsverbesserungen. 250 Mio. Franken sind für die zweigleisige Tunnelstrecke mit unterirdischer Haltestelle zwischen Kriens Mattenhof und Luzern Bahnhof bewilligt. Da auf der Strecke Luzern – Hergiswil täglich bis zu 170 Züge verkehren soll eine Doppelspur bei Hergiswil Matt folgen. Die meisten Bahnhöfe sind umgebaut und ermöglichen einen ebenerdigen Einstieg.
Auch der Fahrzeugpark wurde modernisiert: 62 Mio. Franken kosteten die zehn 100 km/h schnellen, klimatisierten Niederflur-Gelenktriebzüge ABe 130 («Spatz»), die seit 2004/05 ausschliesslich im Pendlerverkehr eingesetzt werden. 2006 folgten drei Niederflur-Gelenktrieb-wagen für die IR-Züge nach Engelberg und die S-Bahn-Züge. 2012/13 gehen vier siebenteilige ABeh 150 (mit Speisewagen) für die touristischen Züge und sechs dreiteilige, 120 km/h schnelle ABeh 160 in Betrieb. Letztere sollen ähnlich dem «Lötschberger» der BLS morgens und abends im Pendlerverkehr und dazwischen als Verstärkung der ABeh 150 eingesetzt werden. Trotz dieser Neuanschaffungen werden in den nächsten Jahren auch Verstärkungsmodule oder Ersatzzüge aus Altbau-Fahrzeugen eingesetzt werden.
Ganz anders sieht die Situation bei der Aigle–Le Sépey–Les Diablerets-Bahn (ASD) aus, die 1999 mit drei anderen Bahnen sowie Busunternehmen zu den Transports Publics du Chablais (tpc) fusionierte. Die 23 km lange Strecke kann mit maximal 35 km/h befahren werden, führt zuerst durch die Strassen von Aigle und wird dann zu einer kurvenreichen Bergstrecke. Die lange Spitzkehre nach Le Sépey mit einer handbedienten Weiche im Keilbahnhof Les Planches erfordert bei jedem Zug einen Fahrtrichtungswechsel. Signale und eine Zugbeeinflussung gibt es nicht, die Zugskreuzungen stehen bei den Ausfahrten der jeweiligen Station auf Tafeln. Die Fahrleitung bestand grösstenteils aus Holzmasten mit einfachen Aufhängungen, wurde aber nach Sturmschäden im Mai/Juni 2012 zusammen mit einer teilweisen Oberbausanierung modernisiert. Für den auf die SBB-Hauptstrecke Genf – Brig ausgerichteten Stundentakt (mit Unterschieden zwischen Werk- und Sonntagen) reichen zwei Garnituren aus einem Trieb- (Baujahr 1987) und einem Steuerwagen (Baujahr 1966, umgebaut) aus. Niederflur-Fahrzeuge gibt es nicht. Wegen der niedrigen Fahrgastzahlen wurde die Einstellung mehrfach diskutiert.
Fazit: Vor allem in der Deutschschweiz gab es in den letzten Jahren grosse Anstrengungen, um durch eine verbesserte Infrastruktur und durch Ergänzungs- oder Neubeschaffungen von Fahrzeugen die Meterspurbahnen fit für die Zukunft zu machen. Es besteht jedoch weiterhin Handlungsbedarf, damit die Meterspur auch in Zukunft ihre Aufgabe für den Tourismus und den Berufsverkehr wie auch ihre Bindegliedsfunktion zwischen Stadt, Agglomerationen und Land wahrnehmen kann.