Trotz verbesserter Pünktlichkeit müssen die SBB mehr und mehr unzufriedene Passagiere entschädigen. Die Forderungen beliefen sich letztes Jahr auf über 2,2 Millionen Franken.
Bahn muss Passagiere mit 2,2 Millionen Franken entschädigen Foto: Marcel Manhart
Die offizielle Statistik bescheinigt der SBB einen Rekordwert: 89,8 Prozent ihrer Kunden brachte die Bahn letztes Jahr pünktlich ans Ziel, wobei pünktlich für die SBB bedeutet, dass ein Zug mit
weniger als drei Minuten Verspätung ankommt. Damit könne man punkto Pünktlichkeit ein Allzeithoch feiern, lobte die hauseigene Zeitung.
Einen Rekordwert gab es aber auch am anderen Ende der Skala, bei den Beschwerden. 25'700 Bahnkunden haben letztes Jahr wegen Verspätung oder anderer Kalamitäten ihr Geld zurückverlangt. Damit ist
die Zahl der Rückforderungen im Vergleich zu 2010 um 30 Prozent gestiegen, wie SBB-Sprecher Christian Ginsig erläutert. Diese Unzulänglichkeiten kosten die Kunden einige Nerven – und die SBB viel
Geld: Die Rechnung belief sich laut Ginsig 2011 auf rund 2,2 Millionen Franken. So musste die Bahn beispielsweise 100 000 Franken für verlorenes oder beschädigtes Gepäck bezahlen. Und sie wendete
eine halbe Million dafür auf, gestrandeten Passagieren nachts die Taxifahrt nach Hause oder ein Bett im Hotel zu bezahlen.
Das Gros der Klagen bezog sich auf Verspätungen im internationalen Verkehr. Gemäss den europäischen Regeln kann jeder Passagier, der in grenzüberschreitenden Zügen mehr als eine Stunde Verspätung
erleidet, einen Viertel des Billettpreises zurückfordern. Beträgt die Verzögerung mehr als zwei Stunden, ist die Hälfte des Tarifs zu erstatten. Allein unter diesem Titel mussten die SBB 670 000
Franken an verspätete Kunden zurückzahlen.
Deutsche Pannen und Pendolini
Gehapert hat es primär in Deutschland, wo Mängel beim Rollmaterial zu häufigen Verspätungen führten. Anders als in früheren Jahren haben die SBB denn auch 4000 Beschwerden direkt zur Erledigung
an die Deutsche Bahn weitergeleitet. Ohne diesen Schritt wäre ihre Rechnung noch happiger ausgefallen. Auch die berüchtigte Pendolino-Verbindung nach Mailand trug zum Anstieg der Beschwerden bei.
Aber auch im nationalen Verkehr sind Kosten von 30 000 Franken entstanden. Hier entschädigen die SBB freiwillig Passagiere mit einer Stunde Verspätung mit einem «Sorry»-Gutschein von 10 oder 15
Franken.
Nationale Kunden benachteiligt
Laut SBB lässt der Anstieg der Klagen keine Rückschlüsse auf die Qualität der Leistungen zu. Die Erhöhung hänge damit zusammen, dass die Möglichkeit der Rückforderung bekannter geworden sei. «Die
Kunden nutzen das inzwischen rege», sagt Ginsig.
Umstritten ist, dass die SBB internationale Passagiere immer noch besser entschädigen als nationale. Nachdem der Konsumentenschutz diesbezüglich gleiche Rechte für alle verlangt hatte, wollen die
SBB diese Frage nun nochmals prüfen. Allerdings gibt Sprecher Ginsig zu bedenken, dass aufgrund der vielen GA-Kunden in der Schweiz eine Gleichstellung schwierig sei. Heute sind die Bahnen im
Inland nur verpflichtet, die Kunden bis zum Betriebsschluss am Abend ans Ziel zu bringen. Entschädigungen wegen verpasster Anschlüsse und Ähnlichem sind nicht vorgeschrieben. Von der Haftung
befreit sind die SBB auch, wenn sich ein Zug wegen Unfällen, Schnee oder anderer höherer Gewalt verspätet.