Premium Class im ÖBB Railjet: Jause wie am Schulwandertag

Zu wenig Personal - Damit das Publikum die Einsparungen nicht spürt, reissen sich die Kellner die Haxen aus und servieren die Zugbegleiter in der Premium Class.

 

Von Thomas Rottenberg - derStandard.at vom 05. Januar 2012 

In der Premium Class gibt es  für  25 Euro  Aufpreis u.a. ein fünfgängiges Snack-Menü und  Freigetränke                                                                            Foto: Marcel Manhart

 

Sage keiner, die ÖBB würde die Westbahn nicht kopieren: "Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich", erklärt der Zugbegleiter kurz nach Linz. Dann setzt er sich im gut gefüllten Premium-Class-Waggon des Railjets nach Zürich auf einen leeren Platz - bis der nächste Getränkewunsch an ihn herangetragen wird. Dabei gehört Servieren definitiv nicht zu den Aufgaben eines "Schaffners". Nicht bei der ÖBB: Dafür sind die Leute von E-Express, dem (Noch-)Caterer der ÖBB, zuständig. Wenn es sie denn gibt.

Das Service-System im Railjet ist einfach: Eine Servicekraft schiebt einen Trolley durch die Zweite Klasse. Wer mehr will, muss ins Bistro. Von dort aus wird auch in die Erste Klasse an den Platz serviert. In der "Premium Class" dagegen wird Flugzeug-Businessclass gespielt: Für 25 Euro Aufpreis gibt es hier u.a. ein fünfgängiges Snack-Menü und Freigetränke. Dafür ist noch eine Servicekraft abgestellt.

Verschwundene Kellner
Doch immer öfter kommt es vor, dass der Premium-Servierkörper rasch einen Drink bringt - und dann verschwindet. Wofür da der Aufpreis bezahlt wird, lässt sich dann nicht ergründen: Wenn in Richtung Wien ab St. Pölten gar kein Servicepersonal mehr auftaucht, gibt es auch niemanden, den man fragen könnte 

Mitte Dezember, im Railjet gen Zürich, lüftete dann ein Bistro-Kellner das Geheimnis der verschwundenen Kollegen: Vom eingesprungenen Zugbegleiter war er aus dem Bistro zum Zubereiten/Aufwärmen der Premium-Gerichte in die kleine Premium-Kombüse geholt worden. Beim Servieren entschuldigte er dann immer wieder die "verschwundene" Kollegin: "Die ÖBB zahlen nur mehr zwei Leute pro Railjet-Garnitur". Und das, obwohl allen klar sei, "dass das System dann nicht funktioniert".

Mission Impossible
Denn während er für Bistro und First Class zuständig sei, solle der Kollege nun gleichzeitig mit dem Snack-Wagerl alle Economy-Waggons betreuen - und die Premium-Class verhätscheln. Die liegt jedoch am anderen Zugsende. "Schon wenn der Zug nur halb voll ist, geht das nicht. Heute (auch im Online-Fahrplan stand "starker Reisetag"; Anm.) ist es unmöglich. Alle beschweren sich - zu Recht." Nicht nur im Luxuswagen: Auch die Holzklasse bleibe unterversorgt. Flucht ins Bistro? Sinnlos: "Ich muss ja in der Premium aushelfen - da steht im Bistro alles."

Abhilfe sei keine in Sicht: "Uns hört keiner zu. Vielleicht helfen ja Fahrgast-Beschwerden." Freilich: Auf Anfrage von derStandard.at betont die ÖBB-Kommunikationsstelle, dass es die geschilderten - von mehreren Mitarbeitern als Regelzustand beschriebenen - Zustände gar nicht gebe: "Seit Fahrplanwechsel kann es bei nicht stark ausgelasteten Railjet-Doppelgarnituren (nur an nicht starken Reisetagen) dazu kommen, dass in der hinteren Garnitur nur zwei Mitarbeiter im Einsatz sind. In den anderen Garnituren sind drei Mitarbeiter und ein Zugbegleiter im Einsatz, zwischen Wien und St. Pölten sogar mehrere Personen", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Railjet-Crews und -Nutzer erzählen und erleben es anders. Fakt ist: Beim oben beschriebenen Zug handelte es sich um eine der "anderen Garnituren". Die meist schütter besetzte Premium-Class war gut ausreserviert - und das Personal "schwamm" ab Wien. Dazu gab es seitens der ÖBB keine Reaktion.

Schoko-Trolley
Kein Wunder: Klagen über die Bordversorgung auf Langstreckenzügen dürften die ÖBB gewohnt sein. Dass das Kürzel "IC" (InterCity) besagt, dass es keinen Speisewagen gibt, weiß das Publikum mittlerweile. Aber es gibt ja das "mobile Bordservice". Per Trolley. Was nicht jeder weiß: Dieses Wagerl enthält mitunter nur Schokolade und Getränke - und zwar ab dem Startbahnhof. Wer vor Weihnachten um Mittag von Bregenz nach Osten fuhr, erfuhr von den Wagerl-Kellnern, die permanent um Entschuldigung bitten mussten ("Ich kann nix dafür!"), dass Weckerl, Sandwiches & Co erst in Innsbruck an Bord kämen. Von Bregenz nach Innsbruck braucht der IC drei Stunden.

"Das ist nicht nur heute so", erklärt der Trolley-Mann sein reines Trash-Sortiment: Er habe aber ein paar Snack-Sackerln (eine Gastro-"Novität" der ÖBB: Eine Jausensackerl-Schulwandertags-Reminiszenz aus Apfel, Saft und Schinkensemmel) gehabt. "Die will und braucht zwar keiner - aber wenn es nix anderes gibt, kaufen die Leute zu Mittag irgendwann sogar das."

Neu ausgeschriebene Gastro-Versorgung
Auch in solchen Fällen bedauern die ÖBB zwar allgemein das Ungemach, äußern sich aber nicht zu Umständen oder Regelmäßigkeit. Nicht ohne Grund: Ende November endete die Bewerbungsfrist für die neu ausgeschriebene Gastro-Versorgung am Zug. Laut ÖBB-Presseabteilung haben mehrere Bieter "qualitativ sehr hochwertige Angebote" abgegeben. Namen nennt man (noch) keine: "Im Jänner wird ein finaler Präsentationstermin stattfinden, bei dem die Anbieter ihre Detailkonzepte vorstellen." 

Danach soll es schnell gehen: Der neue Caterer soll im April 2012 loslegen. Zeit und Lust, sich da jetzt noch um die aktuelle Gastro-Performance zu kümmern, dürften endenwollend sein. Zum Handkuss kommen so die Fahrgäste. Und das Personal im Zug - das sich, um die Fahrgäste zu befrieden, zu einer Serviceleistung verpflichtet fühlt, die das Management bislang als Westbahn-typisches Feature verhöhnt hatte: ÖBB-Zugbegleiter, hatte man voll Stolz immer wieder erklärt, seien schließlich keine Kellner.

 

Thomas Rottenberg, derStandard.at, 05.01.2012