Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker plant Tauschhandel im Fluglärmstreit mit Deutschland

Nach dem Willen des Zürcher Volkswirtschaftsdirektors Ernst Stocker (SVP) soll der Kanton Zürich finanziellen Zustupf an ein süddeutsches Bahnprojekt leisten. Im Gegenzug soll Deutschland der Schweiz im Fluglärm-Streit entgegenkommen. 

Ein DB-Zug unterwegs von Schaffhausen nach Basel Bad Bf           Foto: Marcel Manhart

 

«Es braucht eine Paketlösung»
Regierungsrat Ernst Stocker nimmt Stellung zum Fluglärmstreit mit Deutschland

 

Der Zürcher Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP) warnt vor einer Eskalation im Fluglärmstreit mit Deutschland. Im Gegensatz zu Bundesrätin Doris Leuthard spricht er sich für eine Paketlösung aus. 

 

NZZ Online Interview: Andreas Schürer

 

Herr Stocker, Bundesrätin Leuthard ist im Fluglärmstreit der Kragen geplatzt. Kann diese Provokation die Blockaden aufbrechen, oder verhärten sich nun die Fronten noch mehr?
Für die klaren Worte von Doris Leuthard habe ich Verständnis. Den Begriff Taliban hätte ich zwar nicht verwendet. Aber ich finde es gut, dass sie Klartext geredet hat.


Warum soll das nötig sein – die Gespräche sind doch im vollen Gange?
Leider sind sie festgefahren. Und die Drohung aus Deutschland, einseitig die bestehenden Beschränkungen zu verschärfen, ist inakzeptabel. Schwierig für uns ist auch, dass Deutschland in den Gesprächen nicht von den Forderungen der Stuttgarter Erklärung abrückt, die eine Beschränkung der Nordanflüge auf 80 000 im Jahr verlangt. Für uns würde dies bedeuten, entweder auf gut 20 000 Anflüge pro Jahr zu verzichten oder diese auf den Osten und den Süden zu verteilen. Beides wäre gravierend.


Die Signale aus Deutschland bezüglich einseitiger Verordnung sind klar: Eine solche wird erlassen, wenn nicht bis Ende Jahr eine Lösung gefunden wird.
Das hätte verheerende Folgen. Dem Flughafen und somit der ganzen Schweiz würde eine Verschärfung der Anflugbestimmungen über Süddeutschland massive Probleme bescheren. Wenn Deutschland das machen würde, wären die guten Beziehungen ernsthaft in Frage gestellt, namentlich auch unsere guten Wirtschaftsbeziehungen zur Region Südbaden. Da wäre nichts mehr wie vorher. Wir würden alle Register ziehen, um eine solche Massnahme zu bekämpfen. Unter anderem müssten wir uns fragen, ob wir den Grenzgängern das Arbeiten in der Schweiz erschweren sollten.

Sie drohen – doch der wirtschaftliche Profit ist gegenseitig.
Wir haben sehr gute Beziehungen, und ich verstehe nicht, warum man diese aufs Spiel setzt. Die Schweiz ist einer der grössten Direktinvestoren in Baden-Württemberg. Gerade jetzt mit der Frankenstärke lebt Waldshut in den Gaststätten und in den Läden zu 80 Prozent von Schweizern. Zudem haben einige tausend Grenzgänger in der Schweiz eine Arbeitsstelle und somit einen Lohn in Franken. Auch der Flughafen selber ist für Süddeutschland wichtig, das höre ich immer wieder von deutschen Wirtschafts- und Gewerbeverbänden. Diese Stimmen werden leider überhört.

Von Ihnen hat man bis jetzt nicht viel gehört zum Fluglärmstreit. Ist das Ihrem friedliebenden Naturell geschuldet oder taktischem Kalkül?
Ich will auf konstruktiver Basis zu einer Lösung beitragen. Dabei setze ich auf den Ansatz, den der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann einmal geäussert hat: Ziel muss sein, dass möglichst wenig Menschen von Fluglärm betroffen sind, unabhängig von Landesgrenzen.


Die Erreichung dieses Ziels ist aber in weite Ferne gerückt.
Ich war verschiedene Male in Baden-Württemberg und habe die neue grün-rote Regierung in Stuttgart als konstruktive Partnerin erlebt. Wir haben aber feststellen müssen, dass die Rollen nun vertauscht sind: Vor dem Regierungswechsel in Stuttgart hat Grün-Rot in der Opposition gefordert, gegen die bösen Schweizer müsse etwas unternommen werden. Jetzt kommen diese Forderungen mit nicht minderer Vehemenz von der CDU. Dass die Regierung in Süddeutschland wegen des Bahnprojekts Stuttgart 21 bereits enorm unter Druck ist, stellt für uns ein weiteres Handicap dar.

Welche Lösungsansätze können der Schweiz Erfolg bringen?
Wir müssen realistisch sein: Kein deutscher Politiker wird uns etwas geben, ohne dass er etwas zurückerhält. Darum bin ich dezidiert der Ansicht, dass es eine Paketlösung braucht, auch wenn der Bund das ablehnt. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir nicht nur von Freunden umgeben sind, sondern auch von Leuten, die neidisch sind auf den Schweizer Wohlstand und uns deswegen zurückstutzen wollen. Dies erklärt auch, dass nicht mit gleichen Ellen gemessen wird. Der Flughafen München zum Beispiel kann gegen den Willen der Bevölkerung eine neue Piste eröffnen – und dem Flughafen Zürich macht man das Leben schwer, obwohl der Lärm in Süddeutschland rechtlich nicht einmal relevant ist, wie eine Analyse bekanntlich ergeben hat. Das geht nicht auf.


Welche Dossiers, denken Sie, könnten mit dem Fluglärm verknüpft werden?
Am idealsten wäre gewesen, man hätte das Fluglärm-Dossier mit der Personenfreizügigkeit gekoppelt. Auch beim IMF-Kredit des Bundes habe ich auf eine mögliche Verknüpfung hingewiesen. Beim Steuerabkommen hätte es ebenfalls Möglichkeiten gegeben. Aktuell kann man das Fluglärm-Dossier mit dem Agglomerationsprogramm des Kantons Schaffhausen verknüpfen. 34 Millionen Franken sollen in die Elektrifizierung der dem Rhein entlang Richtung Basel verlaufenden Hochrheinbahn investiert werden. Die nützt auch dem Raum Waldshut. Zürich könnte sich an diesem Projekt beteiligen, wenn dafür eine Lösung im Fluglärmstreit gefunden werden könnte.

Sie haben den Lärm angesprochen. Die Deutschen beharren darauf, dass die Zahl der Bewegungen für die Verteilung ausschlaggebend ist und nicht der effektive Lärm, der laut einer Analyse in Süddeutschland rechtlich nicht relevant ist.
Ja, das ist immer noch die Pièce de Résistance. Den effektiv gemessenen Lärm als Basis zu nehmen, ist für uns sinnvoller. So könnte berücksichtigt werden, dass die Flugzeuge dank technologischem Fortschritt leiser werden. Die Forderung knüpft auch an die Vereinbarung zwischen Couchepin und Merkel an – aber jetzt sind die Fronten diesbezüglich leider wieder verhärtet.


Fluglärm wird sehr subjektiv empfunden – das ist auch in der Schweiz so.
Das ist schon richtig. Auch in St. Gallen beklagt man sich über Fluglärm, obwohl man ihn dort eher sieht als hört. Lärm lässt sich aber durchaus objektivieren. Der Flughafen Zürich verfügt über beste Messanlagen. Wichtig ist zudem, wann der Lärm anfällt. Hier muss ich gegenüber Deutschland klar festhalten: Zwischen sechs und sieben Uhr am Morgen kommen die Flugzeuge über Süden, an Wochenenden zwischen sechs und neun Uhr. Das sind die empfindlichsten Stunden – diese Belastung tragen wir in der Schweiz.

So "richtig tief" sind die Flugzeuge beim Anflug in Kloten              Foto: Marcel Manhart

 

Ist für Sie der in Deutschland unbeliebte gekröpfte Nordanflug ein Druckmittel?
Die technischen Einrichtungen werden weiter darauf getrimmt, dass man ihn baldmöglichst einführen kann. Ehrlicherweise müssen wir aber zugeben, dass wir auch in der Schweiz nicht einheitlich auftreten: Der Aargau zum Beispiel bekämpft den gekröpften Nordanflug ebenfalls stark. Als Kanton Zürich stehen wir leider alleine da, obwohl der Flughafen für die ganze Schweiz und notabene auch für Süddeutschland sehr wichtig ist.

Herr Stocker, am Dienstag hat der Verwaltungsrat der GZA seine neue Strategie präsentiert. Sie sind Präsident der Stiftung GZA, die die Standortmarketing-Organisation finanziert. Werden die Überschneidungen mit anderen Organisationen nun beseitigt?
Ja – die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Die Organisation zur Aussenwirtschaftsförderung (Osec) soll auf nationaler Ebene sozusagen für das Grundrauschen zuständig sein, das Standortmarketing kommt der GZA und die Firmenpflege den Kantonen zu. Ausserdem zahlt die GZA der Osec jedes Jahr rund 230 000 Franken; damit kann sie meiner Meinung nach auch Anspruch auf Mitsprache geltend machen.

Die Frage der Erfolgskontrolle bleibt mit der neuen Strategie bestehen. Kann mit der Anzahl Ansiedlungen die Leistung der GZA angemessen beurteilt werden?
Die Messung des Erfolgs ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Allerdings ist das bei Werbe- und Promotionsmassnahmen oft der Fall, und entsprechend kann man auch fragen, was politische Propaganda bringt oder ein Inserat bei der NZZ. Die grössere Herausforderung ist es, die unterschiedlichen Kantone vom Nutzen einer Mitgliedschaft bei der GZA überzeugen zu können.


Verwaltungsratspräsident Balz Hösly hofft auf eine Verbreiterung der finanziellen Basis. Wie will die GZA da vorgehen?
Sowohl der Stiftungsrat wie auch der Verwaltungsrat der GZA müssen aktiver potenzielle Mitglieder angehen. Gerade in der Privatwirtschaft lässt sich der Fächer weiter öffnen. So würden Immobilienunternehmen mit der Vermietung von Büroflächen ja auch direkt vom Zuzug ausländischer Firmen profitieren.


Und wie steht es um die Anwerbung weiterer Kantone?
Natürlich hoffen wir auch dort auf weitere Mitglieder, nicht zuletzt auf eine Rückkehr des Kantons Aargau, der der GZA im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt hat. Meiner Meinung nach profitiert auch dieser Kanton von einem starken Wirtschaftsraum Zürich. Darauf weisen nicht zuletzt die 100 000 Aargauer hin, die jeden Tag in ebendiesen Raum pendeln und dort arbeiten. Mein Ziel ist es, dass es irgendwann eine Selbstverständlichkeit sein wird, zur GZA zu gehören.

 

 

Bericht SF "Schweiz aktuell" vom 05. September 2011