Die Schweizer Transportunternehmen bauen das Angebot des öffentlichen Verkehrs laufend aus und investieren gleichzeitig massiv in neues Rollmaterial. Trotzdem verzichtet die öV-Branche per Dezember 2011 auf eine Preiserhöhung bei den Billetten der 2. Klasse und bei den Halbtax-Abonnementen. Preiserhöhungen braucht es insbesondere dort, wo die Kosten höher sind als die Erträge, dies ist bei den Pauschalfahrausweisen der 1. und 2. Klasse der Fall. Aufschläge gibt es auch bei den Billetten und Tageskarten der 1. Klasse. Gerade in Anbetracht der erwarteten Teuerung von 1 Prozent im 2011 fällt die durchschnittliche Preiserhöhung mit 1.5 Prozent moderat aus.
In erster Linie werden die Preise für die 1. Klasse erhöt, Billette der 2. Klasse und das Halbtax-Abo bleiben unverändert Foto: Marcel Manhart
Das stets verbesserte Angebot führt neben höheren Einnahmen auch zu steigenden Kosten, die über Mehrerträge gedeckt werden müssen. Deshalb hat die Branche des öffentlichen Verkehrs beschlos-sen,
die Preise einzelner Fahrausweise auf den 11. Dezember 2011 zu erhöhen. Die Preise für Billette der 2. Klasse bleiben unverändert. Die Erhöhungen erfolgen punktuell und folgen dem
Verursa-cherprinzip: Die Preise werden in jenen Bereichen erhöht, in denen der Kostendeckungsgrad ungenügend ist. Dies ist insbesondere bei den Pauschalfahrausweisen und beim Normaltarif der 1.
Klasse der Fall. Deshalb steigen die Preise des 1. Klasse-GA-Sortiments durchschnittlich um 4.3 Prozent, diejenigen der 1. Klasse-Billette um durchschnittlich 3 Prozent erhöht. Die Preise der
Generalabonnemente 2. Klasse werden durchschnittlich um 1.7 Prozent angehoben. Für eine stärkere Preiserhöhung in der 1. Klasse spricht der tiefere Kostendeckungsgrad im Vergleich zur 2. Klasse.
Neben dem 1. Klasse-Komfort profitieren die 1. Klass-Kunden von zusätzlichen Dienstleistungen wie dem gebührenfreien Geldwechsel, Vergünstigungen bei der Anschlussmobilität (Mietvelo, Mietauto,
Mobility) und freiem Zutritt in die Lounges.
Besonders unbefriedigend ist die Ertragslage bei der Tageskarte Gemeinde, hier decken die Erträge nur gut einen Drittel der Kosten. Die anfänglich als Schnupperangebot gedachte Tageskarte
Gemeinde konkurrenziert zunehmend die normalen Fahrausweise und wird deshalb seinem ursprünglichen Zweck nicht mehr gerecht. Um das Angebot dennoch beibehalten zu können, erhöhen die
Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs den Preis dieses Abonnements um 8.8 Prozent. Die Tageskarte Gemeinde ist jedoch weiterhin ohne Halbtax-Abonnement den ganzen Tag gültig.
Ähnlich verhält es sich beim Gleis 7. Dieses Angebot ist aufgrund seines günstigen Preises sehr beliebt, allerdings übersteigen die Kosten die Erträge um ein Mehrfaches. Der Tarif wird deshalb
von heute 99 auf 129 Franken angehoben. Für das Gleis 7 ist dies die erste Preiserhöhung seit über10 Jahren, zudem wurde der Gültigkeitsbereich des Gleis 7 laufend ausgebaut.
Um die steigenden Kosten des öffentlichen Verkehrs zu finanzieren, müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leisten: Die öV-Transportunternehmen selbst durch Effizienzgewinne, die öffentliche Hand
und auch die Kundinnen und Kunden. Der Vorschlag des Bundes zur Finanzierung und zum Ausbau der Bahninfrastruktur sieht denn auch vor, dass die Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs
künftig einen grösseren Beitrag an den Ausbau und den Unterhalt der Bahninfrastruktur leisten müssen – bereits im laufenden Jahr zahlt alleine die SBB einen um rund 90 Millionen Franken höheren
Trassenpreis als im Vorjahr. Wegen dieser Zusatzbelastung, den steigenden Betriebskosten und um die Investitionen in neue, leistungsfähige Züge mit mehr Sitzplätzen zu finanzieren, sind die
Unternehmen des öffentlichen Verkehrs auf zusätzliche Einnahmen aus Billettverkäufen angewiesen.
Gemäss dem ordentlichen Verfahren führt der VöV ab heute während 30 Tagen die Gesamtabstimmung bei über 200 an den Tarifen beteiligten Transportunternehmen durch. Danach sind die neuen Preise definitiv und gelten ab Fahrplanwechsel vom 11. Dezember 2011.
Die Preiserhöungen in der Übersicht:
Stellungnahme VCS Verkehrs-Club der Schweiz:
Der VCS Verkehrs-Club der Schweiz ist besorgt über die erneuten Tariferhöhungen im öffentlichen Verkehr. Insbesondere die angekündigten Preissteigerungen bei den Generalabonnementen (GA)
überschreiten eine Schmerzgrenze: 10 Prozent höhere Preise für ein GA innert nur zwei Jahren sind zu viel. Der VCS ruft die SBB und die Verkehrsbetriebe auf, ihre Tarifmassnahmen zu
überdenken.
Insgesamt fallen die von der SBB und dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) angekündigten Tarifanpassungen moderat aus. Eine durchschnittliche Erhöhung um 1,5 Prozent ist aus Sicht des VCS
vertretbar. Der VCS ist sich auch bewusst, dass die Betriebe des öffentlichen Verkehrs unter einem beträchtlichen finanziellen Druck stehen.
Trotzdem sind die geplanten Preisaufschläge zwischen 3 und 6 Prozent bei den GA aus Sicht des VCS äusserst problematisch. Das überaus beliebte GA 2. Klasse soll erneut 100 Franken teurer werden,
nachdem es auf 2011 hin bereits um 200 Franken aufschlug. Damit würde der Preis des GA 2. Klasse innerhalb von zwei Jahren um fast 10 Prozent in die Höhe klettern. Das 1.-Klasse-GA würde im
selben Zeitraum gar um mehr als 10 Prozent teurer. Ein solcher Anstieg entspricht in keinerlei Weise der Teuerung und ist auch umweltpolitisch höchst problematisch.
Bundesrat plant weitere Aufschläge
Denn es drohen weitere Tariferhöhungen: Verkehrsministerin Doris Leuthard will für den Ausbau des Schienennetzes die Trassenpreise, welche die Bahnen für die Benutzung der Infrastruktur zahlen,
um 10 bis 12 Prozent erhöhen. Diesen Betrag würden die Bahnen in den nächsten Jahren auf ihre Kundschaft abwälzen – und auch hier dürften besonders die verschiedenen GA betroffen sein.
Skeptisch ist der VCS zudem, was die Preiserhöhung des Gleis 7-Abonnements um sage und schreibe 30 Prozent betrifft. Dieses Angebot richtet sich an Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren. Das
Gleis 7-Abonnement hat sich bei den Jungen als umweltfreundliche und sichere Alternative zum Auto bewährt. Diese potenzielle Kundschaft von morgen zu vergraulen, könnte sich mittelfristig als
Fehler erweisen. Es liegt auf der Hand, dass die SBB und die übrigen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs mit derartigen Preissteigerungen Kundschaft verlieren werden. Gleichzeitig ist es
unvermeidbar, dass wieder mehr Leute aufs Auto umsteigen.
Dieses Risiko ist umso grösser, als das Autofahren kaum teurer wird: Doris Leuthard plant, den Benzinpreis um lediglich 7 bis 10 Rappen zu verteuern. Die Gesamtkosten fürs Autofahren stiegen
damit um etwa 2 Prozent – und das erst noch deutlich später als die Bahntarife.
Dies ist jedoch kontraproduktiv: So werden die Reisenden dazu ermuntert, dass Auto statt der umweltfreundlichen Bahn zu benutzen. Gleichzeitig sänken die Einnahmen der Verkehrsbetriebe.
Der VÖV zum Thema Distanzzuschläge:
Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) hat dem Preisüberwacher termingerecht einen transparenten Überblick der bestehenden Distanzzuschläge im öffentlichen Verkehr überreicht. Fazit: Das
schweizerische Tarifkilometersystem ist historisch gewachsen, es beruht auf alten Bundesratsbeschlüssen. Aus heutiger Sicht drängt sich kein Handlungsbedarf auf, am geltenden Tarifgefüge
Anpassungen vorzunehmen. Der VöV betrachtet somit den Auftrag des Preisüberwachers vom 4. August 2010 als erfüllt.
Im Rahmen der Verhandlungen zu den Tarifmassnahmen 2010 hatte der Verband öffentlicher Verkehr mit dem Preisüberwacher eine Vereinbarung unterzeichnet. Darin enthalten war der Auftrag des
Preisüberwachers nach einem «Gesamtüberblick der bestehenden Distanzzuschläge».
Der VöV hat daraufhin 308 repräsentative öV-Linien analysiert und die Ergebnisse in einem Bericht dokumentiert. Der Preisüberwacher wurde während der Arbeiten zweimal über die Vorgehensweise und
vorliegenden Zwischenergebnisse informiert. Der Bericht ist dem Preisüberwacher gestern übergeben worden.
Der Überblick über die 308 Linien schafft Transparenz. „Für mich ist Transparenz sehr wichtig. Mit dem Bericht zur Objektivierung der Distanzzuschläge werden wir diesem Anspruch gerecht. Ich bin
zuversichtlich, dass der Preisüberwacher den Auftrag damit als erfüllt betrachtet“, sagte VöV-Direktor Ueli Stückelberger an einer verbandsinternen Tagung. Die Analyse zeigt, dass das heutige
Tarifsystem – mit zum Teil unterschiedlichen Tarifansätzen pro effektive Kilometer – historisch gewachsen ist und primär auf Bundesratsbeschlüssen aus den Jahren 1943 und 1959 beruht. Die später
eingeführten Abweichungen können mit Preisbildungsfaktoren begründet werden.
Die heute bestehenden Preisdifferenzierungen werden von der Kundschaft gut akzeptiert, da sie nachvollziehen kann, dass der Kilometer einer Bergbahn mehr kostet als der Kilometer einer
Flachlandbahn. Regionale Unterschiede konnten keine festgestellt werden. Die wenigen Fernverkehrslinien mit Distanzzuschlägen haben ihre Ursache in einem markant überdurchschnittlichen
Angebot.
Aus heutiger Sicht drängt sich für die öV-Branche kein unmittelbarer Handlungsbedarf auf, Anpassungen am heutigen Tarifgefüge vorzunehmen. Der VöV betrachtet deshalb die Verhandlung zu den
Tarifmassnahmen 2010 somit als abgeschlossen.
Bericht SF Tagesschau vom 03. Mai 2011