SBB Cargo transportiert jährlich mehr als 10 Millionen Tonnen Gefahrgüter. Über 70 Prozent davon sind brennbare Flüssigkeiten wie Benzin, Heizöl und Kerosin. Je nahtloser die
Sicherungssysteme von Befüllern, Entladern und Beförderern ineinandergreifen, desto kleiner ist das Risiko.
Auf diese Bilanz ist Klaus Hill stolz. Der Gefahrgutbeauftragte von SBB Cargo musste in den letzten fünf Jahren nur einen Unfall auswerten, der die definierten Schwellenwerte überstieg. Beim
registrierten Ereignis traten in einem Tanklager im Thurgau einige hundert Liter Heizöl aus: «Der Unfall kann sich so nicht wiederholen. Im Tanklager wurde eine technische Einrichtung
installiert, die dies verhindert. Zudem haben wir die Kommunikation zwischen Befüller und Beförderer verbessert.» Auch schwere Personenunfälle gab es bei Gefahrguttransporten von SBB Cargo seit
2005 keine. Hill kennt das Business. Der studierte Umweltschutztechniker war Gefahrgutbeauftragter einer Speditionsfirma, ehe er 2004 in dieselbe Funktion zu SBB Cargo wechselte. Besonders
wichtig ist ihm die Schulung: «In den Managementsystemen, den Richtlinien und im Gesetz sind die Standards und Auflagen alle definiert und geregelt. Funktionieren kann Sicherheit aber nur, wenn
sie von allen Beteiligten gelebt wird.» Papier sei bekanntlich geduldig, und gerade für Gefahrenguttransporte gebe es gar viel Papier und oft lange Checklisten.
Hoher Sicherheitsstandard bei den Gefahrenguttransporten Foto: Marcel Manhart
Ein Fünftel sind Gefahrgüter
Von den 50 Millionen Nettotonnen, die SBB Cargo 2009 transportierte, waren 22 Prozent Gefahrgüter. Mit 8 Millionen Tonnen machten brennbare Flüssigkeiten (Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin) den
Löwenanteil aus. Chemoil, die auf den Transport von Gefahrgut spezialisierte Tochter von SBB Cargo, vermittelt hier einen Grossteil der Transportdienstleistungen über die gesamte Lieferkette. SBB
Cargo stellt die Lokomotiven und fährt die Züge, während die Waggons für Gefahrgüter meist privaten Anbietern gehören. Diese Konstellation bringt eine Schnittstelle mehr. Bei den Wagen hats auch
immer wieder mal einige «Tröpfler», also undichte Wagen. Verantwortlich für die Minilecks sind weniger undichte Bodenventile oder Verschlusskappen, sondern meist Nachlässigkeiten in der Wartung.
«Solche Missstände werden mit den Kunden besprochen und behoben. Alle Beteiligten sitzen da im selben Boot», sagt Hill. Dass sowohl der Güter- wie auch der Personenverkehr im internationalen
Vergleich hohe Standards erfüllen, hängt auch mit dem flächendeckenden System der Zugskontrolleinrichtung zusammen. Dabei messen Sensoren etwa die Temperatur der Bremsen oder auch den Radstand.
Werden hier Abweichungen festgestellt, wird der Zug gestoppt. Dies macht auch den Gefahrgutverkehr sicherer.
Richtlinie für Gefahrguttransporte
SBB Cargo hat eine Richtlinie erlassen, die von Kunden bei der Übergabe von gefährlichen Gütern zwingend einzuhalten ist. Sie gilt für Belader, Entlader und Umlader auf dem Schweizer Schienennetz
und orientiert sich am entsprechenden internationalen Règlement concernant le transport international ferroviaire de marchandises dangereuses (RID). Dieses verlangt beispielsweise
Gefahrgutausschlüsse – eine Reihe von Stoffen sind zur Beförderung auf der Schiene nicht zugelassen. Zur Dienstleistung von SBB Cargo gehört nur der Transport der Güter, nicht aber das Beladen
und das Befüllen sowie das Entleeren der Waggons. Die eigentliche Schnittstelle bezüglich Sicherheit ist also die Kontrolle bei der Übernahme von Gefahrgut: Mängel werden wenn möglich vor Ort
behoben oder führen zu einer Intervention beim Kunden. Erst wenn die Abweichungen korrigiert sind, fährt der Gefahrguttransport los. Es gilt ein Qualitätsmanagementsystem, das nach DIN EN ISO
9001 zertifiziert ist. Um die hohen Standards im Bereich Chemie zu erfüllen, unterzieht sich SBB Cargo seit 2003 regelmässig den Prüfungen gemäss SQAS (Safety and Quality Assessment System). In
der Richtlinie von SBB Cargo sind auch die notwendigen Begleitpapiere und Gefahrgutangaben genau definiert, ebenso die Vorgaben zur Ladungssicherung.
Ein Rückblick auf die letzten 20 Jahre
In den Jahren 1989 bis 1994 haben sich auf dem Schienennetz der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) drei schwere Unfälle mit Mineralöl-Ganzzügen ereignet. Diese Unglücke passierten in Au (SG),
Stein-Säckingen und in Zürich- Affoltern. In allen drei Fällen kam es aufgrund eines Defektes am Radsatz zu einer Entgleisung und einem anschliessenden Grossbrand.
Beim Unfall in Zürich-Affoltern wurde beispielsweise ein entgleister Wagen ca. 2 km mitgeschleppt, ohne dass dies vom Lokführer bemerkt wurde. Erst im Bahnhofsbereich von Zürich-Affoltern
eskalierte die Entgleisung, da mehrere Kesselwagen umstürzten. Dabei schlug ein Wagen leck, Benzin wurde freigesetzt und es entstand ein Brand, der sechs Verletzte sowie einen Sachschaden von ca.
CHF 26 Mio zur Folge hatte. Eine Studie schätzt den gesamten monetarisierten Schaden sogar auf CHF 35 Mio (€ 24 Mio).
In der Folge dieser Unfälle haben die SBB in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unter anderem zwei Massnahmen verfolgt, um durch Entgleisungen verursachte Grossunfälle zu verhindern. Die erste
Massnahme besteht darin, hohe Temperaturen am Radsatz rechtzeitig zu detektieren und den Zug anzuhalten, bevor es zu einer Entgleisung kommt. Das Netz der Heissläuferund Festbremsortungsanlagen
wurde deshalb auf 43 Anlagen ausgebaut. Abklärungen für eine weitere Verdichtung dieses Netzes, evtl. auch mit zusätzlichen Anlagetypen bzw. Messfunktionen, werden von den SBB zurzeit
vorgenommen.
Die zweite Massnahme besteht darin, eine Entgleisung so rasch als möglich zu detektieren und eine Bremsung des Zugs einzuleiten. Beim Unfall in Zürich-Affoltern hätte damit die Eskalation des Ereignisses mit grösster Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Diese Erkenntnis ist mit ein Grund dafür, dass die SBB mit Unterstützung der verladenden Industrie in der zweiten Hälfte der 90er Jahre Tests mit Entgleisungsdetektoren am Rollmaterial durchgeführt haben. Aufgrund der Erfahrungen mit drei verschiedenen Typen von Entgleisungsdetektoren haben sich die SBB für ein Produkt entschieden, auf welches im Folgenden eingegangen wird.
Die Entgleisung des Kerosin-Güterzuges in Au (SG) am 19. September 1988
Es freut mich ausserordentlich, dass ich zu diesem Thema einen sehr interessanten Gastbeitrag von Herrn David Schiesser erhalten habe, dazu hat er mir noch sehr viele und sehr eindrückliche Fotos mitgeschickt.
Am 19. September 1988 entgleisten im St. Galler Rheintal im Bahnhof Au (SG) auf der Strecke zwischen Buchs (SG) und St. Margrethen mit Kerosin beladene Zisternenwagen eines Güterzuges und brannten aus. Es war eine der grössten Katastrophen der Ostschweiz. Erst elf Jahre später konnte die Akte endgültig geschlossen werden. Unmittelbar nach der Entgleisung wurde Herr David Schiesser vom Rechtsdienst der SBB-Generaldirektion beauftragt, die Schadenregelung zu übernehmen. Zur besseren Dokumentation machte er zahlreiche Fotos.
Gefahrengutzug auf der Rheinbrücke bei Bad Ragaz Foto: Marcel Manhart