Unesco-Experten haben den Semmering-Basistunnel geprüft und – unter Auflagen – grünes Licht gegeben
- Naturschützer und Bürgermeister ängstigt "Aus" für Semmeringbahn
- Titel-Aberkennung durch Unesco befürchtet
- Alte Strecke soll laut ÖBB als Ausweichroute bestehen bleiben
Die Semmeringbahn wurde 1854 eröffnet und 1998 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt Foto: Marcel Manhart
"Mir wäre es viel lieber, wenn der Semmering-Basistunnel nicht gebaut wird." Eduard Rettenbacher, Bürgermeister der Südbahn-Gemeinde Payerbach, steht mit dieser Meinung nicht allein da. Dabei
geht es dem bulligen Politiker nicht vorrangig um Naturschutz, Baustellenlärm oder Staub. Seine Sorge ist anders begründet – und gilt, sollte einmal der Basistunnel fertiggestellt sein, dem
Weiterbetrieb der mittlerweile mehr als 150 Jahre alten ÖBB-Bergstrecke zwischen Payerbach und Mürzzuschlag. "Was ist, wenn die ÖBB die Ghegabahn aus Kostengründen nicht mehr erhalten wollen?",
fragt Rettenbacher. "Was passiert dann mit dem Weltkulturerbe Semmeringbahn?"
Zum Unesco-Weltkulturerbe erhoben wurde diese erste Gebirgsbahn der Welt – von Carl Ritter von Ghega in den Jahren 1848 bis 1854 errichtet – vor 13 Jahren. Initiator des Projekts war die
Landschaftsschutzorganisation "Alliance For Nature", die damit die Viadukte, Tunnel und Bauwerke sowie auch die umliegende Gebirgs- und Kulturlandschaft als "Welterbe der Menschheit" unter Schutz
stellen ließ. Und es sind dieselben Organisatoren, die nun – ähnlich wie Rettenbacher – genau dieses Weltkulturerbe gefährdet sehen. "Sollte der Basistunnel tatsächlich realisiert werden, besteht
die Gefahr, dass die Semmeringbahn über kurz oder lang eingestellt wird", warnt "Alliance"- Generalsekretär Christian Schuhböck im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Bürgermeister wehren sich
"Denn wie die anderen Nebenbahnen, speziell in Niederösterreich, zeigen, werden sie größtenteils eingestellt und durch Busse ersetzt", ergänzt er. Die Semmeringbahn würde demnach im Falle einer
Realisierung des Projekts zur "exklusivsten Nebenbahn Europas" degradiert und laufe letztlich Gefahr, ähnlich wie das Dresdner Elbtal, auf die "Rote Liste des gefährdeten Welterbes" gesetzt zu
werden. "Schlimmstenfalls könnte uns auch die Aberkennung des Welterbe-Status blühen", befürchtet Schuhböck, der immerhin auf die Rückendeckung der regionalen Bürgermeister setzen kann. "Das
könnte für uns und den Tourismus schlimme Folgen haben", meint auch Rettenbacher. "Wenn Payerbach zum Kopfbahnhof und der Rest der Bergstrecke zur Museumseisenbahn wird, bringt uns das nichts."
Die Frage, ob er sich gemeinsam mit den anderen Gemeinden gegen den Tunnel wehren werde, bejaht er. "Ich fürchte aber, dass es dafür zu spät ist."
Dass der Semmering-Basistunnel, der als Teil der europäischen Baltisch-Adriatischen Achse zwischen Polen und Italien realisiert werden soll, gebaut wird, ist hingegen so gut wie fix. "Wir
erwarten für April einen positiven Baubescheid", erklärt ÖBB-Sprecher Christopher Seif auf Anfrage. Die Befürchtungen, dass das Weltkulturerbe durch den Tunnelbau gefährdet sein könnte, kann er
aber nicht nachvollziehen.
Völkerrechtlich gebunden
"Das ist nicht geplant und steht für uns derzeit nicht zur Diskussion. Was aber in 20 Jahren ist, kann niemand wissen", meint er. Fakt sei aber, dass die ÖBB die Bergstrecke nach wie vor als
Ausweichroute, etwa während routinemäßiger Wartungsarbeiten im Tunnel, benötigen. Überdies könne man im Fall zunehmenden Verkehrs den Tunnel entlasten, indem man beispielsweise den einen oder
anderen Zug über den Semmering schickt, so der Sprecher. "Zudem liegt ein unabhängiges Gutachten der Unesco vor, in dem bestätigt wird, dass das Weltkulturerbe nicht bedroht ist."
Im Büro der Österreich-Niederlassung der Unesco wird die Existenz eines positiven Gutachtens, das von einem Schweizer Bahnexperten verfasst wurde, bestätigt. "Die Kommission hat im Rahmen ihrer
Prüfung im April des Vorjahres den Projektverantwortlichen mehrere Auflagen erteilt, die eingehalten werden müssen", erklärt Unesco-Österreich-Generalsekretärin Gabriele Eschig. "Werden diese
Vorgaben missachtet, könnte es freilich zu einer Aufhebung des Status kommen." Die genannten Auflagen beinhalten allgemeine Erhaltungsmaßnahmen, eine landschaftsverträgliche Gestaltung der neuen
Tunnelportale sowie die Harmonisierung der beiden Strecken zu einer "Zwillingsbahn". Daran, dass die Vorschläge der Unesco nicht umgesetzt werden, glaubt Eschig nicht: "Schließlich ist die
Republik ja als Vertragspartner für die Erhaltung des Weltkulturerbes verantwortlich – und völkerrechtlich an diese Zusage gebunden."
In dieselbe Kerbe schlägt auch der Chef-Verkehrsplaner der niederösterreichischen Landesregierung, Friedrich Zibuschka, und führt die wirtschaftliche und touristische Bedeutung der
Weltkulturerbe-Region Semmering ins Treffen. "Als Land ist es uns natürlich ein Anliegen, dass die alte Strecke erhalten bleibt", betont der Beamte. Und auf die Kritik an die
Nebenbahnschließungen repliziert er: "Das Weltkulturerbe und der Semmering sind mit Strecken wie der Ybbstalbahn nicht vergleichbar. Die Semmeringbahn wird sicher nicht aufgegeben."