Die SBB stehen vor grossen Aufgaben. Weil der Verkehr in den nächsten zehn Jahren auf dem Schienennetz markant steigen wird und viele Pensionierungen anstehen, brauchen die Schweizerischen Bundesbahnen rund 1000 zusätzliche Lokführer. Diesen Lokführer-Mangel wollen sie mit Teilzeitpensen wettmachen. Frauen sollen in die Bresche springen und dieses Thema schlägt jetzt schon hohe Wellen, denn für die Massnahmen zur Frauenförderung können sich nicht alle begeistern.
Bericht von Katharina Bracher in der NZZ am Sonntag vom 06. Februar 2011
Michael freut sich auf neue Kolleginnen Foto: Marcel Manhart
In den nächsten zehn Jahren stehen die SBB vor der Aufgabe, 1000 zusätzliche Lokführer zu finden. Nur so können sie den Mehrverkehr auf dem Schweizer Schienennetz und die anstehende
Pensionierungswelle bewältigen.
Den jüngsten Coup der SBB-Personalstrategen präsentierte der Konzern vergangene Woche per Stelleninserat in verschiedenen Schweizer Zeitungen: eine Teilzeit-Ausbildung für Lokführer. Das
Pilotprojekt soll im kommenden August in Zürich Altstetten starten. Der Unterricht wird an drei Wochentagen stattfinden. Nach insgesamt 70 Wochen ist die Ausbildung abgeschlossen.
Frauen in den Führerstand
Damit will der Konzern ganz bewusst Frauen in den Führerstand bringen, die auf Grund von familiären Verpflichtungen keine Vollzeitausbildung in Angriff nehmen können. «Wir hoffen, dass wir mit
dieser Massnahme den Frauenanteil heben können», sagt Konzernsprecher Reto Kormann.
Frauen sind im Führerstand noch immer die Ausnahme. Gesamthaft sind im SBB-Personenverkehr gerade mal 14,3 Prozent Frauen angestellt. Die SBB haben sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil bis 2014
auf 18 Prozent zu erhöhen. Der erste Schritt zur Feminisierung der Männer-Hochburg SBB ist bereits getan: Mit Jeannine Pilloud übernimmt demnächst eine Frau die Leitung des Personenverkehrs. Die
46-jährige Pilloud ist die erste Frau, die Einsitz in der Konzernleitung der SBB nimmt.
Nicht alle sind begeistert
Für die Massnahmen zur Frauenförderung können sich nicht alle begeistern. Hubert Giger, Präsident vom Verband Schweizer Lokführer VSLF,
bezweifelt, dass der Beruf des Lokführers geeignet ist, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen: «Wir wissen oft erst zwei Tage im Voraus, wann wir zum Einsatz kommen.»
Giger wirft den SBB vor, nicht auf Teilzeit-Wünsche der Lokführer, die heute schon im Einsatz sind, einzugehen. Mit dem neuen Modell schaffe man Privilegien für Neueinsteiger und bestrafe die
Treue der alten Garde. «Die anderen Lokführer müssen in die Bresche springen, weil die neuen Teilzeitkräfte ihre Touren fest zugesichert haben und an ihren fixen Freitagen nicht eingesetzt werden
müssen», so Giger. «Das gibt böses Blut.»
Keine Mehrbelastung
Doch SBB-Sprecher Kormann winkt ab. Es komme zwar vor, dass einem Lokführer die Pensumsreduktion auf Grund von Kapazitätsengpässen vorübergehend nicht gewährt werden könne. «Grundsätzlich wird
das neue Teilzeitmodell aber nichts an der Arbeitsbelastung der anderen Lokführer ändern», so Kormann.
Bereits 2006 hatten die SBB mit einer ungewöhnlichen Rekrutierungs-Aktion für Aufsehen gesorgt. Sie warben an den Zürcher Hochschulen Studenten für den nebenamtlichen Beruf des Lokführers an.
Heute sind noch vier der zehn damals zum Lokführer ausgebildeten Studenten im Dienst.
«Wie familienfreundlich ist der Beruf?» - Von Felix Burch - 20 Minuten Online
Hubert Giger, Präsident vom Verband Schweizer Lokführer VSLF, ist alles andere als begeistert: «Uns stört, dass die SBB mit ihrer jüngsten Rekrutierungsmassnahme den Lokführerberuf als familienfreundliche Anstellung verkauft, das ist der Job schlicht und einfach nicht.» Oft wüssten die Lokführer erst zwei Tage im Voraus, wann sie zum Einsatz kämen.
Die SBB gingen heute nicht auf Teilzeit-Wünsche von Lokführern ein, so Giger. Werde dies durch das neue Modell den neuen Lokführerinnen oder Lokführern zugesichert, bestrafe man die, die schon
lange im Beruf seien. «Jemand, der schon 20 Jahre Lokführer ist, müsste Lückenbüsser spielen, weil die neuen Teilzeit-Angestellten feste Touren bekommen, das ist unfair.»
Ärger über die Kritik des Verbandes
Kormann widerspricht dem vehement. «Wegen des neuen Teilzeitmodells wird die Arbeitsbelastung der anderen Lokführer nicht steigen.» Er ärgert sich über die Reaktion des VSLF. «Der Verband spricht
ständig von zu wenig Lokpersonal. Präsentieren wir dann neue Modelle, die dem entgegenwirken, ist dies auch nicht recht.»
Giger kann der neuen Teilzeit-Lösung dann auch tatsächlich wenig Gutes abgewinnen: Der Lokführerberuf verliere durch die Massnahmen für einen Teil an Attraktivität. «Durch die Teilzeit-Ausbildung
verkommt unser Beruf zum Feierabendjob.» Die Zufriedenheit unter den Lokführern sei jetzt schon tief, das neue Modell trage sicher nicht dazu bei, dies zu verbessern.
Auch diesem Kritikpunkt widerspricht Kormann. Die Anforderungen, wie die Inhalte der Teilzeit-Ausbildung, seien genau dieselben wie die bei den normalen Lokführern. Die Ausbildung erstrecke sich
einfach über einen längeren Zeitraum. Etwas Modernität schade dem Beruf sicher nicht. Lokführer sei für viele weiterhin ein Traumberuf, durch das neue Modell hätten mehr Frauen die Möglichkeit,
diesen zu ergreifen.
Erste Bewerbungen eingegangen
Schliesslich ist man beim VSLF skeptisch, ob die Teilzeit-Ausbildung Erfolg haben wird. 2006 warben die SBB an den Zürcher Hochschulen bei Studenten für den nebenamtlichen Beruf des Lokführers.
Zehn wurden fertig ausgebildet, vier sind heute noch aktiv. Kurmann räumt ein, die Studenten-Rekrutierung sei nicht gerade ein Erfolg gewesen. Das neue Modell sei aber etwas ganz anderes. Bei den
SBB gingen bereits erste Bewerbungen ein. Und: Für entsprechende Infoveranstaltungen haben sich ebenfalls schon mehrere Personen gemeldet - unter ihnen sind Frauen und Männer.
Mit einer Teilzeitausbildung zur Lokführerin bricht die Schweizer Bahn eine Männerdomäne auf, während die deutschen Lokführer wieder mal ihrem Trieb nachgeben - und streiken.
Er ist Chef der Gewerkschaft GDL und Nachfolger des legendären Lokführerführers Manfred Schell. Da muss man schon mal mit den Muskeln spielen. Wenn Claus Weselsky in wenigen Tagen zu Streiks aufruft, ist das die logische nächste Stufe im stets männlich geprägten Ritual des Tarifkonflikts. Bei den Lokführern ist besonders viel Testosteron im Spiel: In wenigen Berufen ist der Frauenanteil so gering, nur zwei Prozent der 20.000 DB-Triebfahrzeugführer sind weiblich.
Dabei werden Lokführer dringend gesucht, und Frauen könnten dazu beitragen, die Not zu lindern. In Deutschland droht die Forderung der GDL, keine Hauptschüler mehr zum Job zuzulassen, das Arbeitskräftereservoir sogar weiter zu mindern. In der Schweiz dagegen weiß man Abhilfe gegen den Mangel: Per Inserat bieten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), die in den nächsten Jahren 1000 neue Zuglenker brauchen, eine Teilzeitausbildung zum Lokführer (m/w) in 70 Wochen an. Der Unterricht an drei Wochentagen soll die Lehre mit familiären Pflichten kompatibel machen. So wollen die SBB Hausfrauen in Führungspositionen bringen - oder zumindest ganz vorn auf den Zug.
"Das Interesse ist stark", sagt ein SBB-Sprecher. Ein Drittel der Antworten auf die Annonce komme von Frauen. Die Männerwelt aus Bahnboliden, Gleisen und Signalen ist in Gefahr, der Job als Lokführer nicht mehr nur ein Jungentraum.
Der geringe Anteil an Frauen hat weniger damit zu tun, dass Männer ihnen auch bei Loks das Einparken respektive Rangieren nicht zutrauen. Ausgeschlossen wurden sie einst wegen der harten Arbeit auf Dampfloks. Bis heute herrscht unter Lokführern eine Machokultur. "Das Fehlen von Damen-WCs in den Unterkünften unterwegs ist da noch das kleinste Problem für uns", berichtet eine der wenigen deutschen Lokführerinnen.
Der Frauenanteil in Bahnkonzernen ist generell gering. Bei der Deutschen Bahn sind 20 Prozent der Mitarbeiter und 15 Prozent der Führungskräfte weiblich - und das ist mehr als bei den SBB.
Doch die Schweizer holen auf. Sie zeigen sich nicht nur auf der Lok, sondern auch in der Chefetage fortschrittlicher: Demnächst haben sie eine Frau im Vorstand. Bei der DB aber ist die
Konzernspitze wieder fest in Männerhand: Personalchefin Margret Suckale, die einst Oberlokführer Schell im Zaum hielt, musste weichen. Umso mehr Testosteron ist nun im Spiel, wenn GDL und Bahn
nach den ersten Streiks wieder verhandeln. Irgendwann.