Stromausfälle, Stellwerkstörungen, Streckenblockierungen: Auf dem Zürcher Schienennetz folgte im vergangenen Jahr eine Panne der nächsten. Betroffen waren fast immer die Pendler. Eine Bilanz.
Ein verspäteter InterRegio in Zürich Flughafen Foto: Marcel Manhart
Bahnreisende in und um Zürich brauchten im vergangenen Jahr starke Nerven. Immer wieder mussten sie auf Züge warten oder in Abteilen ausharren, weil es auf dem Schienennetz der SBB zu Verspätungen wegen Defekten, Unfällen oder Störungen kam. Alleine im Dezember ereigneten sich rund um den Zürcher Hauptbahnhof vier Pannen. Und die Liste der Verkehrsbehinderungen im ganzen Zürcher Schienennetz ist noch länger.
Hier eine Auswahl:
- 26.02.2010 Eine Störung im Bahnhof Stadelhofen führt zu Verkehrsbehinderungen im S-Bahnnetz.
- 15.03.2010 Fahrleitungs- und Stellwerkstörungen in Winterthur und Altstetten haben zahlreiche Verspätungen zur Folge.
- 17.03.2010 Ein Schienenriss blockiert die S 15. Die Strecke zwischen Zürich HB und Bahnhof Hardbrücke ist nur beschränkt befahrbar.
- 06.04.2010 Ein Zug bleibt zwischen Zürich und Thalwil stecken. Der S-Bahnbetrieb ist blockiert.
- 15.05.2010 Eine Stellwerkstörung im Limmattal führt zu Zugsausfällen auf der Ost-West-Achse
- 07.07.2010 Wegen eines Unfalls beim Bahnhof Stadelhofen ist der Bahnbetrieb eingeschränkt.
- 15.07.2010 Der Zürcher HB liegt wegen einer Fahrleitungsstörung teilweise lahm.
- 21.07.2010 Am Zürcher HB kommt es zu einem Stromausfall
- 23.08.2010 Die Anzeigetafeln am Zürcher HB fallen für mehrere Stunden aus.
- 13.10.2010 Eine defekte Lokomotive blockiert den Verkehr zwischen HB und Flughafen.
- 03.11.2010 Eine Fahrleitung wird in Effretikon heruntergerissen.
- 14.12.2010 Die Anzeigetafeln am Zürcher HB fallen eineinhalb Stunden aus.
- 16.12.2010 Ein Gleis zwischen Zürich HB und Bahnhof Hardbrücke ist beschädigt. Es kommt zu Verspätungen.
- 20.12.2010 Stromausfall am Zürcher HB
- 28.12.2010 Eine Stellwerkstörung in Schlieren führt zu Zugsausfälle auf der Ost-West-Achse und zu einem Chaos am HB.
Warum es zu dieser Häufung von Pannen kam und welche Auswirkungen sie effektiv auf den Bahnverkehr hatten, lässt sich gemäss SBB-Mediensprecher Christian Ginsig derzeit noch nicht sagen. «Im Moment werden die statistischen Pünktlichkeitswerte, die einen Vergleich zu den Vorjahren ermöglichen, noch ausgewertet. Die genauen Zahlen liegen erst im Januar vor», erklärt er gegenüber Tagesanzeiger.ch.
Temperaturextreme machen den Zügen zu schaffen
Als Ursachen für die Probleme könnten unter anderem die diesjährigen Temperaturextreme im Sommer und im Winter infrage kommen. «Bei schwierigen Witterungsverhältnissen, wie sie in diesem Jahr der
Fall waren, nehmen die Störungen im Schienennetz oder bei Fahrzeugen immer zu. Dann werden die Anlagen und Züge extrem beansprucht», so Ginsig. Immerhin lasse sich bereits jetzt sagen, dass die
SBB mit ihren Massnahmen in Bezug auf den Winterdienst und die Pünktlichkeitswerte für den Monat Dezember im Vergleich zu anderen europäischen Bahnen sehr gut dastehe.
Doch ganz egal, wie die Daten des vergangenen Jahres nach der Auswertung aussehen werden, eine Gruppe Bahnreisender wird auch in Zukunft mit Verspätungen rechnen müssen: Die Pendlerinnen und
Pendler rund um Zürich. «Im Raum Zürich liegt das meistgenutzte Streckennetz der Schweiz», sagt Ginsig. «Kommt es dort zu Störungen, hat das auf viel mehr Bahnreisende Auswirkungen als auf
Nebenlinien.»
Dank tüchtigem Heizen auch unter freiem Himmel kommt die Bahn in der Schweiz gar nicht so schlecht durch Schnee und Eis.
Zu den aufmerksamsten Lesern von Wetterkarten gehört die achtköpfige Sonderequipe, die bei den SBB rund um die Uhr die Wintereinsätze koordiniert und Massnahmen anordnet. Nähert sich die
Temperatur dem Gefrierpunkt, werden beispielsweise die Lokomotiven in der Nacht am Strom gelassen, und die Heizungen in den Wagen bleiben eingeschaltet. Die Züge werden nicht mehr in der
Waschstrasse gereinigt, das Eis an den Fahrzeugen muss manuell mit Hochdruckreinigern entfernt werden.
Automatisch arbeiten die Weichenheizungen: 7000 der rund 16 000 Weichen auf dem SBBNetz werden elektrisch oder mit Propangas beheizt, Sensoren schalten sie ein und aus. Das Heizen unter freiem
Himmel braucht viel Energie, sichert aber die Funktion dieser für den Betrieb kritischen Elemente.
Ankunftsmonitor in Zürich HB am 26. Dezember 2010 Foto: Marcel Manhart
«Fast jeder Zug aus Frankreich und Deutschland hat Verspätung»
Die grössten Probleme mit dem Winter haben die SBB nicht mit ihren Zügen oder Weichen, sondern mit den Nachbarbahnen. «Fast jeder Zug aus Frankreich und Deutschland hat gegenwärtig Verspätung»,
sagt SBB-Sprecher Christian Ginsig. Das zwinge die SBB dazu, viele Ersatzzüge bereitzustellen; zudem müssen die später eintreffenden internationalen Züge an den Schweizer Taktzügen vorbeigelotst
werden. Eine kostspielige Sache für die SBB. Für die Reisenden äussern sich diese Probleme darin, dass im Dezember 20 Prozent aller Züge Verspätung hatten.
Laut den Störungsdatenbanken der SBB betreffen die häufigsten Pannen sommers wie winters die Sicherungsanlagen. Rund 40 000 Störungen bei Signalen und Stellwerken werden jährlich registriert.
Nicht immer lassen sie sich schnell beheben.
Wenn ein Stellwerk streikt
Zu den gröberen Stellwerkstörungen gehört die Panne, die sich am Dienstagabend im Bahnhof Schlieren ereignete. Weil ein Bauteil im Stellwerk plötzlich ausfiel, konnten die Signale nicht mehr
automatisch gestellt werden. Es mussten nicht nur Techniker, sondern auch Zugverkehrsleiter nach Schlieren geschickt werden, die das Stellwerk vor Ort manuell bedienten.
Zwar kann ein Zug bei einer Signalpanne ein Rotlicht überfahren, wenn der Lokführer über Funk die Bewilligung erhält. «Bei einem einzelnen Zug geht das, aber ein ganzer Bahnhof kann so nicht
betrieben werden», sagt Ginsig. Mit Handarbeit wurde der Betrieb in Schlieren während des ganzen Dienstagabends aufrechterhalten, am Mittwoch um 5 Uhr früh waren die Reparaturarbeiten
beendet.
Auf die Frage, ob denn ein komplexes Computernetz wie die Bahnsicherheitsanlagen nicht von Hackern mit Viren lahmgelegt werden könnte, betont Mediensprecher Christian Ginsig, dass dieses Netzwerk
keinerlei Verbindungen zum Internet habe. Das Stellwerk- und Signalnetz läuft mit einem speziellen Betriebssystem, das von aussen nicht erreichbar ist.
Während die Deutsche Bahn wegen des Winters massive Probleme hat, verkehren die Züge in Österreich und der Schweiz reibungslos. Und das, obwohl es auch dort derzeit schneit und friert …
Zugegeben, es ist ein bisschen unfair, die Deutsche Bahn mit den Bahnbetrieben der Nachbarstaaten zu vergleichen. Sowohl Österreich als auch die Schweiz betreiben viel kleinere Bahnnetze.
Andererseits sind es Alpenstaaten, die ebenfalls mit extremem Winterwetter zu kämpfen haben.
Einen offiziellen Kommentar zum schneebedingten Bahnchaos in Deutschland verkneifen sich die Alpennachbarn. Lieber verweisen die Österreichischen (ÖBB) und Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf
ihre eigene Effizienz und Pünktlichkeit. Zwischenfälle ausschließen könne man nie, heißt es. Dennoch scheinen beide Länder für den Winter generell besser gerüstet.
Die Weichen auf den Hauptrouten sind beheizt
„In Österreich ist immer Schnee im Winter − es gibt keinen Ort, wo wir das ausschließen können“, sagt ÖBB-Sprecher Herbert Ofner. Mit dem „Wedelweiss-Ticket“ bewirbt die Bahn in der kalten
Jahreszeit den Transport in Österreichs Skigebiete sogar besonders als sichere und zuverlässige Alternative zum Auto.
Grundsätzlich sei Schnee für die Bahn kein Problem, auch wenn die Kombination mit Eis und Wind eine Herausforderung sei, so Ofner. Deshalb statteten die ÖBB vielbefahrene Strecken fast zu 100
Prozent mit Weichenheizungen aus und haben ein sehr genaues Wetter-Warnsystem, nach dem die Mitarbeiter organisiert werden. Seit Kurzem können Fahrdienstleiter bei besonders wichtigen Weichen auf
eine neue Turbotaste drücken, um sie noch schneller aufzuheizen und so das Eis zu schmelzen.
Verspätet sind oft nur die Züge aus Deutschland
Eine „Taskforce Winter“ analysiert nach jeder Saison Schwachstellen im Streckennetz. „Wir investieren massiv in Personal und Anlagen, um im Winter gerüstet zu sein“, erklärt Ofner. Die
Pünktlichkeit der Züge lag im Dezember, der auch in Österreich viel Schnee brachte, bisher durchschnittlich bei 93,1 Prozent im Nahverkehr und bei 69,7 Prozent im Fernverkehr. Hauptgrund für den
schlechteren Wert im Fernverkehr: „Verspätete Grenzübergabe von Nachbarstaaten.“ Züge von und nach Deutschland betreiben die ÖBB gemeinsam mit der Deutschen Bahn.
Für den österreichischen Fahrgastverband Pro Bahn stehen die ÖBB aber nur so gut da, weil sie schwierige Strecken gar nicht mehr befahren. „Auf den Hauptstrecken funktioniert es, aber in der
Fläche wird massiv abgebaut“, kritisiert Sprecher Peter Haibach. Auch die ÖBB hätten Probleme mit der Logistik: „Da gibt es keine Unterschiede zwischen den Ländern – die Bahn wird fast überall
kaputtgespart.“
Die Schweiz ist das Mass aller Dinge
Mass aller Dinge ist auch für die Österreicher die Schweiz, die das am stärksten befahrene Netz in Europa betreibt. Um dem Ruf ihrer Pünktlichkeit gerecht zu werden, beginnt die
Wintervorbereitung bereits im Sommer, erklärt SBB-Sprecher Christian Ginsig. Dann werden zum Beispiel die mit Sensoren ausgestatteten und beheizten Weichen kontrolliert und gewartet. Momentan
haben nur rund ein Fünftel der Züge Verspätungen über drei Minuten.
„Wir hängen allerdings auch stark vom Ausland ab“, sagt Ginsig. So werden etwa verspätet aus Deutschland eintreffende ICE-Züge durch Schweizer Reservezüge ersetzt, die dann den Schweizer
Bahnfahrer einigermaßen pünktlich ans Ziel bringen. Dafür stehen in diesen Zeiten trotz Weihnachten und Ferienzeit Züge und Personal bereit.
Werden aussergewöhnliche Wettersituationen erwartet, gibt es bei der SBB ohnehin einen umfassenden Bereitschaftsplan. „Dann weiß jeder SBB-Mitarbeiter, was er zu tun hat. Vorbereitung ist eben alles“, erläutert Ginsig. Die Schweizer danken ihrer Bahn die Verlässlichkeit mit Treue: Sie sind Europameister im Bahnfahren. Im Durchschnitt benutzten die Einwohner der Schweiz 49 Mal im Jahr die Eisenbahn, die Bürger in Deutschland taten es nur 23 Mal.