Abschluss des kulinarischen Pilotversuchs in den ICN-Zügen am Gotthard

Der im August 2009 gestartete Pilotversuch mit einer zusätzlichen Verpflegung am Platz in der 1. Klasse wird nicht weitergeführt und auf den Fahrplanwechsel im Dezember 2010 beendet. Für Kundinnen und Kunden steht weiterhin der Speisewagen und auch der Minibarservice für die Verpflegung zur Verfügung.

Die Ergebnisse aus dem bis Dezember 2010 angesetzten Pilotversuch haben gezeigt, dass die Kunden den zusätzlichen Service durchaus schätzen. Davon zeugen zahlreiche positive Kundenreaktionen. Dennoch scheint das konventionelle Verpflegungsangebot dieser Züge mit Minibar und Speisewagen auszureichen. Dies bestätigen die erzielten Umsätze. Die zu kurzen Distanzen zwischen den einzelnen Halteorten auf dem übrigen SBB Streckennetz erlauben keine Ausweitung des Services auf andere Linien. Aus diesem Grund beendet die SBB den Pilotversuch wie geplant im Dezember 2010 und sieht von der definitiven Einführung des Service am Platz in der 1. Klasse ab.

Der Service am Platz im ICN wird nicht weitergeführt                   Foto: Marcel Manhart

 

Mit dem Ziel einer zusätzlichen Servicedienstleistung startete die SBB im August 2009 den Pilotversuch «Buon appetito – Essen am Platz» am Gotthard. Zwischen Arth-Goldau und Bellinzona können Kundinnen und Kunden seither in der 1. Klasse auf den ICN-Zügen von einem erweiterten Verpflegungsangebot profitieren. Die Strecke wurde ausgewählt, weil die 93 Minuten dauernde Nonstopp-Fahrt über den Gotthard ideale Voraussetzungen für den Pilotversuch bot. Der Service des Zusatzangebots wird durch das Zugpersonal sichergestellt.

Rund 150 Mitarbeitende des Zugpersonals aus dem Tessin und der Deutschschweiz waren in den noch bis Dezember 2010 laufenden Pilotversuch eingebunden. Das Zugpersonal stellt den Service täglich in insgesamt 17 ICN-Zügen sicher. Unabhängig vom Ende des Versuchs stehen Kundinnen und Kunden auch künftig für Essen und Getränke die Minibar aber auch der Speisewagen in den ICN-Zügen zur Verfügung.

Zufrieden hat die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV zur Kenntnis genommen, dass die SBB den Service in der 1. Klasse auf der Gotthardstrecke einstellt. Der SEV und das darin organisierte Zugpersonal hatten den Versuch von Anfang an zurückgewiesen.

Für den SEV und fürs Zugpersonal war klar, dass der Versuch fehlerhaft angelegt war. Insbesondere kritisierten sie, dass das Zugpersonal die falschen Leute für den Service am Platz sind. So hat das Zugpersonal neben den Aufgaben im Kundendienst auch betriebliche Pflichten, die jederzeit im Vordergrund stehen. Zudem ist auf diesen Zügen ohnehin das dafür ausgebildete Personal von Elvetino im Einsatz und wäre deshalb für den Service am Platz geeignet.

Es erstaunt nicht, dass der wirtschaftliche Erfolg ausblieb, da das Angebot durch Speisewagen und Minibar ausreichend und attraktiv ist. Der SEV ist zufrieden, dass die SBB vor Versuchsende zum Schluss gekommen ist, dass das Projekt begraben werden soll. Somit steht das Zugpersonal auch am Gotthard wiederum voll für seine angestammten Aufgaben zur Verfügung.

 

 

Bericht SF Tagesschau vom 29. Oktober 2010

Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV hat überhaupt nichts gegen den Ausbau des Serviceangebot in den Zügen, lehnt aber das SBB-Pilotprojekt «Buon appetito am Gotthard» ab. Dieses wirft viele Fragen auf und wurde von der SBB gegen den Willen des Zugpersonals beschlossen, ohne darüber mit dem SEV zu verhandeln.

Zuständig für die Bahngastronomie in den SBB-Zügen ist die SBB-Tochter Elvetino. Kundenservice hat mit guter Qualität zu tun. Diese bieten die Elvetino-Mitarbeitenden, die darauf spezialisiert sind. Wenn aber Zugpersonal unter mehr oder weniger grossem Zeitdruck diesen Service als Nebenaufgabe erledigen muss, kann das auch für die Kundschaft keine befriedigende Lösung sein.

Aufgaben der Zugbegleiter/innen sind Fahrausweiskontrollen und Kundendienst (Auskünfte) sowie betriebliche und fahrdienstliche Aufgaben wie die Abfertigung der Züge. Vor allem bei Verkehrsstörungen oder gar einem Ereignis auf dem Zug selbst müssen sie sofort richtig reagieren und dürfen nicht abgelenkt sein durch das Servieren von Getränken und Essen.

Dies gilt besonders dann, wenn auf einem Zug nur 1 Zugbegleiter/in ist, was auf der Gotthardstrecke bis auf Weiteres oft der Fall ist. Gerade auf dieser Strecke war und ist das Zugpersonal wegen Cisalpino- und anderen Zugverspätungen bei der Fahrgastinformation stark gefordert.

Abzusehen sind auch Probleme mit der Hygiene, denn das Zugpersonal muss bekanntlich zwischen zwei Stationen durch den ganzen Zug gehen und Dutzenden von Fahrgästen die Fahrausweise kontrollieren. Dabei muss es auch die Toiletten kontrollieren und das Rollmaterial ständig berühren, ebenso bei der Zugabfertigung. Bei einem vergleichbaren Projekt in Deutschland gibt es strenge Hygienevorschriften: Das Servierpersonal muss dort beispielsweise eine eigene Toilette haben.


Keine Verhandlungen
Das Vorgehen der SBB ist inakzeptabel für den SEV, denn sie setzt gegen die Meinung des Personals das Pilotprojekt um, ohne dass Verhandlungen mit dem SEV darüber stattgefunden haben.

Die SBB informierte den SEV darüber im Rahmen einer Projektgruppe des Fachausschusses zur Weiterentwicklung des Zugpersonals. Dem Zugpersonal der betroffenen vier Depots Bellinzona, Chiasso, Luzern und Zürich wurde Ende Mai an Informationsveranstaltungen gesagt, was Sache ist: Das Tessiner Zugpersonal muss beim Versuch obligatorisch mitmachen, für die anderen ist er freiwillig. Doch wer von den Luzernern nicht mitmacht, kann nicht mehr ins Tessin fahren.

Der SEV lehnt den Versuch ab und steht voll und ganz hinter dem Personal.

Mit 29 zu 1 Stimmen haben die Tessiner Zugbegleiter/innen am 13. Juni 2009 in Bellinzona eine Resolution mit Forderungen zum umstrittenen Versuch auf der Gotthardlinie verabschiedet.

Dass die Versammlung der ZPV-Sektionen Bellinzona und Chiasso an einem Samstag mit wunderbarem Wetter so gut besucht war, lag an den aktuellen Themen und den attraktiven Referenten: Neben Erwin Schwarb, Stiftungsratspräsident der Pensionskasse SBB, traten auch SEV-Vizepräsident Manuel Avallone und ZPV-Zentralpräsident Andreas Menet auf.

Mobilisierend wirkte neben den Themen «Pensionskasse SBB» und «GAV-Weiterentwicklung» vor allem der Pilotversuch, den die SBB gegen den Willen von Personal, Personalkommission (Peko) und SEV beschlossen hat: Ab 1. August soll in ICN-Erstklasswagen auf der Gotthardlinie das Zugpersonal Speisen und Getränke servieren (siehe kontakt.sev Nr.11).

Verhandlungen mit den Sozialpartnern gab es nicht. Die SBB informierte diese lediglich in einer Arbeitsgruppe, führte Ende Mai Infoveranstaltungen für die vier betroffenen Depots Bellinzona, Chiasso, Luzern und Zürich durch und kündigte das Projekt bereits in den Medien an. Als sich in Luzern nur sieben Freiwillige meldeten, wurden kurzerhand Zugbegleiter/innen zum Mitmachen gezwungen.


Tessiner Widerstand
Das Zugpersonal von Bellinzona und Chiasso reagierte sofort mit starker Opposition. Es ist nämlich seit dem letzten Fahrplanwechsel auf der Gotthardlinie mit besonders vielen (begründeten) Kundenreklamationen und -fragen konfrontiert, vor allem wegen verspäteter Cisalpino-Züge, und hat mit entsprechendem Zeitaufwand und Professionalität wesentlich dazu beigetragen, den Imageschaden der SBB in Grenzen zu halten.

Deshalb und weil der Pilotversuch gerade dann beginnen soll, wenn der Sommerverkehr am grössten ist, ärgert das Personal die Halsstarrigkeit, mit der die SBB diesen Versuch durchziehen will. Ein Kollege brachte es auf den Punkt: «Die Kundinnen und Kunden sehnen sich nicht danach, von uns Essen und Getränke serviert zu bekommen, sondern wollen vor allem pünktliche und saubere Züge. Und sie wissen sehr wohl, dass sie nur in den Speisewagen zu gehen brauchen, um kompetent und professionell bedient zu werden.»


Resolution
Die Versammlung verabschiedete mit 29 zu 1 Stimmen eine Resolution (siehe Kas-ten). Darin wird die SBB aufgefordert, am Pilotprojekt Korrekturen vorzunehmen, damit es beim Zugpersonal etwas mehr Zustimmung findet. Die Resolution ist der SBB nach Redaktionsschluss bei einem Treffen mit Sozialpartnern und Peko am 22. Juni bereits überreicht worden.

Breite Opposition

Gegen den Versuch wehrt sich nicht nur der SEV, sondern die Peko des Zugperso-nals hat sich in einem Personal-Info ebenfalls dagegen ausgesprochen. Dank der engen Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den ZPV-Sektionen wurde die Resolution auch an die Kolleg/innen in Luzern und Zürich verteilt mit der Auf-forderung, sie ebenfalls zu unterstützen.

Die SBB muss nun den starken Widerstand des Personals berücksichtigen, indem sie am Projekt die verlangten Korrekturen vornimmt. Sie kann damit beweisen, dass sie wirklich tut, was sie immer proklamiert: dass sie bereit ist, die Standpunkte aller anzuhören und zu berücksichtigen, damit sich alle hinter ein gemeinsames Ziel stellen können.

Angelo Stroppini/Fi

 

Resolution

ZPV-Forderungen zum Pilotprojekt «Buon appetito am Gotthard»


1. Das Projekt soll mit dem Fahrplanwechsel beginnen und eine Laufzeit von 6 Monaten haben.
2. Gewerkschaften und Personalkommission Zugpersonal müssen ständig über die Entwicklungen des Pilotprojektes informiert werden.
3. Das Angebot wird nur dann gültig, wenn 2 Zugbegleiter/innen anwesend sind. Das Angebot wird zudem nur in einer ICN-Komposition angeboten.
4. Das Projekt darf keine negativen Folgen für die Kolleg/innen von Elvetino haben.
5. Das Personal fordert eine Liste aller Aufgaben, die aktuell bei der Begleitung der Züge erledigt werden müssen. Im Zusammenhang mit dem Pilotprojekt müssen die Aufgaben, die zuerst erledigt werden müssen, aufgeführt werden.
6. Die Initianten des Projektes müssen das Zugpersonal auf einer Tour begleiten und bei deren Arbeit mithelfen.

Verabschiedet am 13. Juni 2009 in Bellinzona von der Versammlung des Tessiner Zugpersonals