Am Freitag um 14 Uhr 17 war es soweit: Die Tunnelbohrmaschine Sissi hatte sich in 17 Minuten durch die restlichen 1,5 Meter Fels im Gotthard-Basistunnel gefräst. Nun hat die Schweiz einen neuen Weltrekord: Mit 57 Kilometern ist der Gotthard-Basistunnel der längste Eisenbahntunnel der Welt.
Im Berg ist jetzt ein Tunnel - sda - NZZ-Online
Kein Bild konnte diesen magischen Moment besser fassen, als die lange, herzliche Umarmung der beiden Wegbereiter der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale Neat: Bundesrat Moritz Leuenberger und sein Vorgänger Adolf Ogi. Mit wässrigen Augen standen sie vereint vor dem mächtigen Bohrkopf von Sissi, flankiert von strahlenden Mineuren, Ingenieuren und Geologen, applaudiert von einer illustren Gästeschar aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
«Ich wage es kaum zu sagen, aber es herrscht Freude, Genugtuung, Respekt», sagte ein sichtlich aufgewühlter Ogi. «Wenn Sie in mein Gesicht schauen, sagt dies alles.» Und ja, sein Gesicht widerspiegelte grosse Rührung. Später sagte er der Nachrichtenagentur SDA, dass er als Bundesrat im Kampf für die Vision manchmal das Gefühl gehabt habe, die ganze Welt sei gegen ihn. «Mit dem erfolgreichen Durchschlag heute habe ich Gerechtigkeit zurückbekommen.» Der Erfolg am Gotthard habe jetzt alle Gegner und Kritiker eines Besseren belehrt. Er sei sehr nervös gewesen - bis klar war, dass es klappen werde. «Als im Tunnel die erste Felsplatte herunterfiel, da fiel eine mindestens so grosse Felsplatte von meinem Herzen.» Und die Felsplatte im Tunnel war mächtig.
Im Tunnel machen die Mölltaler die Musik
Von den rund 2000 Beschäftigten am Gotthardbasistunnel stammt ein Viertel aus Österreich. Die meisten davon kommen aus dem Mölltal. Einstein machte sich in diesem Teil von Kärnten auf
Spurensuche. Warum sind die Mölltaler die geborenen Tunnelbauer?
Bericht SF "Einstein" vom 14. Oktober 2010
Mut
Der Weg bis zu diesem Moment war lang, Volksabstimmungen waren nötig, lange Plangenehmigungsverfahren und Mut. Mut der Politik, des Volks, der Bauunternehmen und der Arbeiter im Innern des Bergs.
«Tagtäglich haben Sie sich in die Tiefe des Gotthardmassivs hineingearbeitet, an Orte, wo vorher noch nie ein Mensch war», sagte Luzi Gruber von der Baufirma Implenia am Durchschlagspunkt an die
anwesenden Mineure gewandt. Renzo Simoni, Chef der AlpTransit Gotthard AG, zog vor ihnen gar seinen Helm - eigentlich eine Todsünde auf dem Bau. «Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrer Leistung,
denn Sie sind die Helden des Basistunnels und die Helden des heutigen Tages.» Simoni erinnerte aber auch an die acht Männer, die beim Bau des Gotthard-Basistunnels ihr Leben verloren, verlas ihre
Namen und den Todestag, um ihnen zu gedenken.
Kraft
«Gestern wollten wir den Berg versetzen. Heute durchbohren wir ihn und schaffen den längsten Tunnel der Welt, zum Zeitpunkt, wie wir ihn planten, zu den Kosten, wie wir sie rechneten», hatte ein
sichtlich aufgeregter Bundesrat Leuenberger vor dem Durchschlag gesagt. «Der heutige Tag beweist, wie nachhaltig, wie konsequent, wie effizient unsere direkte Demokratie ist.» Wenn alle
Betroffenen beteiligt, Kompromisse gesucht und gefunden, sich also auch Minderheiten in den Beschlüssen wieder erkennen, dann «kann die Demokratie Berge versetzen». Und der Durchschlag versetzte
den Verkehrsminister in Euphorie. Seinen europäischen Kollegen, die live zugeschaltet waren und den Durchschlag mit Ehrfurcht und Applaus verfolgt hatten, rief er zu, dass ihm die Tränen gekommen
sind, weil eine «jahrzehntelange Hoffnung und ein Traum der Stimmbürger umgesetzt» worden seien.
Meisterleistung
Mit einer Abweichung von acht Zentimetern in der Breite und einem Zentimeter in der Höhe - also einer Hand- und einem Fingerbreit - wurde von den Tunnelbauern Präzisionsarbeit geleistet, die von
allen Rednern gewürdigt wurde. EU-Botschafter Michael Reiterer brachte es auf den Punkt: «Die Schweiz hat sich im wahrsten Sinne des Wortes durch einen Berg gebissen.»
Die Schweiz hat wieder den Längsten
Mit dem Durchstich des Gotthard-Basistunnel hat die Schweiz nun wieder den längsten Tunnel der Welt. Seit 1988 führte diese Rangliste der Seikan-Tunnel zwischen zwei japanischen Inseln mit 53,9
Kilometer an. Nummer Zwei war der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal mit 49,94 Kilometern. Danach folgt wieder ein Schweizer Bauwerk, der Lötschberg-Basistunnel mit 34,6 Kilometern.
«Gewaltiges» Medieninteresse in Sedrun
Rund dreihundert Medienvertreter berichten am Freitag aus Sedrun, wo am Nachmittag der Durchschlag am Gotthard-Basistunnel stattfindet. Allein für die SRG SSR idée suisse stehen hundert Personen
im Einsatz. Von den übrigen 200 Journalisten werden sich gegen 150 in der Werkhalle in Sedrun einfinden, wo ein grosses Fest stattfindet. Die anderen Journalisten dürfen mit weiteren 150
geladenen Gästen in den Tunnel. Mehr als die Hälfte der Medienvertreter stammt gemäss Probst aus der Schweiz. Aus dem Ausland sind vor allem aus den angrenzenden europäischen Ländern Reporter
angereist. Zu den exotischsten Berichterstattern gehören japanische Journalisten sowie ein Vertreter des arabischen Senders Al Jazeera, der aus London anreiste.
Wie kommt das Loch in den Berg
Im Hagerbachstollen bei Flums erfährt Nicole Ulrich, wann beim Tunnelbau gebohrt und wann gesprengt wird. Dazu erlebt sie eine Sprengung hautnah, darf sogar selber den Zünder drehen.
Bericht SF "Einstein" vom 14. Oktober 2010
Forschen für den Tunnel von Morgen
Der Versuchsstollen Hagerbach ist ein weltweit einzigartiges Forschungs- und Testareal für den Untertagebau. Hier prüften Spezialisten die Techniken und Materialien, welche am Gotthard die
nächsten Jahrhunderte überdauern sollen.