Wenn nach dem Gotthard- im Jahre 2019 auch der Ceneri-Basistunnel in Betrieb sein wird, beginnt für das Tessin ein neues Zeitalter. Man verspricht sich von der NEAT ähnliche Impulse wie von der Gotthard-Bahn im 19. Jahrhundert.
Die 1882 eröffnete Bahn brachte dem bis dato von der Landwirtschaft geprägten Tessin die Modernität. In Lugano begann sich ein Finanzplatz zu entwickeln, der heute der drittgrösste des Landes ist. Und dank der Bahn erlebte die «Sonnenstube der Schweiz» einen touristischen Aufschwung sondergleichen.
Der Tessiner Umweltdirektor Marco Borradori glaubt, dass sich die Geschichte mit der NEAT wiederholen wird. Er ist überzeugt, «dass wie bereits im 19. Jahrhundert alle Prognosen und die rosigsten Aussichten übertroffen werden», wie er neulich an einem Treffen mit italienischen Politikern in Rom sagte. Für Bahnreisende sieht die Realität indes eher trist aus. Zwischen Zürich, dem Tessin und Mailand verkehrt derzeit nur noch alle zwei Stunden ein Zug - vor drei Jahren hatte es noch jede Stunde eine Verbindung gegeben. Borradori hofft denn auch auf eine substanzielle Verbesserung der Situation, und zwar noch «bevor der Gotthard- und Ceneri-Tunnel eröffnet werden».
Moderne Züge auf alten Trassees Foto: Marcel Manhart
Die beiden Basistunnels werden die Reisezeit auf der Nord-Süd-Achse um rund eine Stunde verkürzen. 300 Züge werden jeden Tag mit bis zu 250 km/h unter den Alpen hindurchrasen. Im freien Gelände
werden die Lokführer aber auf die Bremse treten müssen. Denn im Hauptort Bellinzona sowie südlich von Lugano werden die Züge auf einem Trassee verkehren, das im 19. Jahrhundert für Dampfloks
konzipiert wurde.
Das Tessin pocht denn auch vehement auf eine Fertigstellung der NEAT von einer Landesgrenze zur anderen. Konkret wird eine Umfahrung von Bellinzona sowie eine neue, unterirdische Streckenführung
zwischen Lugano und Chiasso gefordert. Woher der Bund die dafür notwendigen Milliarden nehmen soll, ist indes eine offene Frage. In der Planung weiter fortgeschritten ist man dafür bei der
Neugestaltung der Bahnhöfe.
Die Bahnhöfe werden umgebaut
In Bellinzona und Lugano sollen die Bauarbeiten im nächsten Jahr in Angriff genommen werden. Während die SBB in Bellinzona Investitionen in der Höhe von 15 Millionen Franken plant, wird in Lugano
und Locarno mit grösserer Kelle angerichtet.
In Lugano soll nicht nur der Bahnhof umgestaltet werden, sondern auch die Fachhochschule SUPSI angesiedelt werden. Die Gesamtkosten belaufen sich laut Angaben der SBB auf über 65 Millionen
Franken. In Locarno wiederum wird eine Überdeckung des Bahnhofareals ins Auge gefasst. Dort soll ein 150 Millionen Franken teures Kongresszentrum entstehen. Mit dieser Infrastruktur hofft man,
die touristische Attraktivität der Region steigern zu können.
Region Locarno wird besser erschlossen
Überhaupt wird die Region Locarno eine der grossen Profiteure der NEAT. Zum einen wird das wirtschaftlich gebeutelte Locarnese, das stark auf den Tourismus setzt, dank dem neuen Gotthard-Tunnel
für Besucher aus dem Norden rascher erreichbar sein. Zum anderen rückt dank dem Ceneri-Tunnel das prosperierende Wirtschaftszentrum Lugano in ideale Pendlerdistanz. Dadurch dürfte Locarno als
Wohnort an Attraktivität gewinnen.