Einreichung der Volksinitiative «Für den öffentlichen Verkehr»

Der VCS Verkehrs-Club der Schweiz hat am Montag 06. September 2010 zusammen mit seinen über 20 Partnerorganisationen die Volksinitiative «Für den öffentlichen Verkehr» eingereicht. Der Bundeskanzlei wurden 140’759 beglaubigte Unterschriften übergeben. 140’759 Unterschriften, die zeigen, wie wichtig der Schweizer Bevölkerung ein leistungsstarker öffentlicher Verkehr ist.

Die so genannte öV-Initiative traf von Anfang an den Nerv der Schweizer Bevölkerung: Schon nach einem halben Jahr waren weitaus mehr als die notwendigen 100’000 Unterschriften beisammen. Der VCS stellte einmal mehr unter Beweis, dass er in der Schweizer Verkehrspolitik wichtige Akzente setzen kann. Die öV-Initiative präsentiert die passende Lösung zum richtigen Zeitpunkt.

VCS und Partnerorganisationen beim Einreichen der Initiative                        Foto: VCS

 

Ausbau des Schienennetzes ist unumgänglich. Die öV-Initiative des VCS macht einen konstruktiven und zielgerichteten Vorschlag zur Finanzierung dieses dringend notwendigen Ausbaus. Sie schlägt eine Neuverteilung der Mineralölsteuer-Einnahmen vor. Nach Abzug des Anteils für die allgemeine Bundeskasse wird die eine Hälfte für den Schienenverkehr, die andere für den Strassenverkehr eingesetzt. Heute werden 75 Prozent dieser Einnahmen für den Strassenbau und nur 25 Prozent für den öffentlichen Verkehr verwendet.


Jetzt für künftige Generationen vorsorgen
Damit das Schweizer Schienennetz auch den Anforderungen künftiger Generationen genüge, müsse jetzt vorgesorgt werden, sagte VCS-Zentralpräsidentin Franziska Teuscher bei der Übergabe der Unterschriften an die Bundeskanzlei. Die Initiative leiste zudem einen wichtigen klimapolitischen Beitrag: Indem Gelder für den Ausbau des Schienennetzes bereit gestellt werden, könnten künftig noch mehr Reisende vom Auto auf die Bahn umsteigen. 

Der Service public im öffentlichen Verkehr könne nur aufrecht erhalten werden, wenn für den Ausbau des Schienennetzes genug Geld vorhanden sei, sagte Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Hans-Peter Fricker, CEO des WWF Schweiz, wies darauf hin, dass die Verkehrspolitik für das Klima äusserst relevant sei. Deshalb versuche der WWF, die Menschen in der Schweiz davon zu überzeugen, vom Auto auf den Zug umzusteigen. Dies täten sie aber nur, wenn das Angebot stimme.

Die Initiative komme genau zum richtigen Zeitpunkt, sagte SP-Nationalrat Roger Nordmann. Bundesrat und Parlament seien noch sehr zurückhaltend mit Vorschlägen zur Finanzierung von Bahn 2030. Ohne den Druck einer Volksinitiative werde dieses Geschäft womöglich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Mit der öV-Initiative erhielten die Strasse und der öffentliche Verkehr bei der Finanzierung ihrer Infrastruktur erstmals gleich lange Spiesse, ergänzte Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen.

 

 

Bericht SF Tagesschau vom 06. September 2010

 

 

 

 

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Gemäss Peter Vollmer, Direktor des Dachverbandes der Transportunternehmen, könnte der Preisabstand beim Bahnfahren zwischen 1. und 2. Klasse vergrössert werden. Zudem müsse man über neue, komfortablere Stehzonen im Agglomerationsverkehr nachdenken. 

Die Initiative «Für den öffentlichen Verkehr», die vor Kurzem vom Verkehrs-Club der Schweiz eingereicht wurde, will eine Neuverteilung der Mineralölsteuer-Einnahmen zugunsten des öffentlichen Verkehrs. Wie stehen Sie zu diesem Anliegen?

Peter Vollmer: Ich beurteile die Initiative skeptisch, was angesichts meiner Funktion überraschen mag. Aber das Begehren weist meines Erachtens zwei Hauptmängel auf. Es eröffnet keine zusätzlichen Geldquellen, sondern verteilt das Geld nur um. Zudem ist nicht gewährleistet, dass dadurch am Ende wirklich mehr Geld für den öffentlichen Verkehr (ÖV) bleibt. Denn neben den neuen Einnahmen aus der Mineralölsteuer bräuchte der ÖV weiterhin auch beträchtliche Mittel aus dem allgemeinen Bundeshaushalt. Diese könnten im Gegenzug künftig reduziert werden.

Rechnen Sie mit einem Gegenvorschlag zur Initiative?
Vollmer: Ich hoffe auf einen solchen Gegenvorschlag, ja. Und das ist für mich auch der positive Aspekt: Die Initiative erhöht den Druck auf die Politik, zu entscheiden, welche finanziellen Mittel für den öffentlichen Verkehr fliessen sollen.
 
Ist Mobilität heute nicht einfach zu billig? Bei den SBB etwa sind Umsatz und Kundenzahlen top, aber unter dem Strich bleibt zu wenig übrig.
Vollmer: Mobilität ist an sich ganz klar zu billig. Und das gilt sowohl für die Strasse wie auch für den ÖV. Nur fehlt es aber am politischen Willen, auch international, die Mobilität zu verteuern.
 
Für die Kunden wird Bahnfahren aber teurer. SBB-Chef Andreas Meyer hat jährliche Preiserhöhungen in Aussicht gestellt.
Vollmer: Da gebe ich Andreas Meyer recht: Preiserhöhungen sind unumgänglich, der ÖV-Kunde muss seinen Teil beitragen, denn die öffentliche Hand wird nicht beliebig Geld zur Verfügung stellen. Aber die Kunden bekommen auch mehr Leistungen für ihr Geld - Stichwort moderneres Rollmaterial, Bahn 2000, neue Strecken (Neat-Lötschberg), Streckenausbau oder dichtere Fahrpläne. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir erleben einen hübschen Paradigmenwechsel: Vor zehn Jahren noch befasste sich die Politik mit den leeren Zügen und Bussen. Heute beklagt sie sich über die übervollen Züge und Busse.
 
Sind Sie dafür, das Generalabo (GA) zu verteuern?
Vollmer: Das GA ist eine Art Flatrate des öffentlichen Verkehrs und ein einzigartiges Verkaufsargument. Nicht mal die Japaner, die sonst Vorreiter sind im öffentlichen Verkehr, können etwas Ähnliches wie das GA bieten. Gerade beim GA der 2. Klasse, bei der Familienformel und bei den Behinderten müssen wir mit Preiserhöhungen vorsichtig sein. Denn Bahnfahren ist ein Stück weit Service public. Es muss für alle erschwinglich sein.
 
Also plädieren Sie für einen Aufschlag beim GA der 1. Klasse?
Vollmer: Es ist zu überlegen, ob der Preisunterschied zwischen der 1. und der 2. Klasse nicht grösser sein könnte als heute. Geschäftsreisende sind eher bereit, für den Komfort beim Reisen in der 1. Klasse mehr zu bezahlen.
 
Die kleineren Bahnen in Ihrem Verband wehren sich gegen die Einführung eines zeitlich abgestuften 9-Uhr-GA. Warum?
Vollmer: Erstens gibt es einen touristischen und regionalpolitischen Aspekt: Für Tagesausflüge in die Berg- und Randgebiete kann man nicht erst um 9 Uhr aufbrechen. Zudem gibt es Spitzenzeiten ja nicht nur am Morgen, sondern insbesondere im städtischen Nahverkehr auch am späten Nachmittag. Und dann gilt es aufzupassen, dass man durch ein vergünstigtes Angebot für die Schwachlastzeiten nicht einfach Bahnfahren für jene verbilligt, die ohnehin nicht zu Spitzenzeiten unterwegs sind.
 
Lassen sich Kundenströme im öffentlichen Verkehr denn überhaupt steuern?
Vollmer: Nur zu einem kleinen Teil. Wenn jemand zu Stosszeiten die Strecke Bern-Zürich fährt, dann tut er das in der Regel nicht freiwillig, sondern weil er zur Arbeit oder in die Ausbildung muss. Mit preislichen Abstufungen lassen sich solche Ströme nicht einfach auf den späteren Vormittag umleiten. Ich denke, der Effekt durch solche abgestuften Preise, auch wenn der Rabatt hoch wäre, wird überschätzt.
 
Muss die Infrastruktur im ÖV denn auf den Spitzenbedarf ausgerichtet sein?
Vollmer: Diese Frage stellt sich in der Tat bei allen Infrastrukturen. Ganz typisch ist diesbezüglich der Gotthard-Strassentunnel, der an gewissen Wochenenden und in der Hauptferienzeit ein Problem darstellt, in der übrigen Zeit den Verkehr aber problemlos schlucken kann. Gerade im Agglomerationsverkehr in den grossen Städten muss man sich vielmehr fragen, ob es zwingend ist, dass alle zu jeder Zeit einen Sitzplatz haben müssen. Oder ob man nicht Rollmaterial anschafft, das in einem Teil des Angebots von vornherein auf komfortable Stehzonen setzt, in denen man sich bedeutend bequemer fühlt als bei den heutigen Stehplätzen.
 
Eine Arbeitsgruppe des Bundesamtes für Verkehr arbeitet derzeit Sparvorschläge für die SBB aus. Was erwarten Sie da?
Vollmer: Ich rechne nicht mit einem existenzgefährdenden Sparprogramm. Der öffentliche Verkehr hat gewaltige Produktivitätsfortschritte erzielt. Aber natürlich gibt es immer Möglichkeiten, da und dort effizienter zu werden. Doch es hat sich auch gezeigt, dass gewisse Sparmassnahmen eine Kehrseite haben - ich denke etwa an unbediente grössere Bahnhöfe.
 
Die Verschuldung der SBB ist massiv gestiegen. Schaut die Politik einfach zu?
Vollmer: Bei der Verschuldung sehe ich nicht so schwarz. Die Infrastrukturanlagen etwa haben einen hohen Gegenwert, den man leicht in eine Bilanz nehmen könnte. Damit sähe die Rechnung gleich viel besser aus. Wichtig scheint mir, dass man nicht bei der Substanzerhaltung und beim Unterhalt zu sparen beginnt.