Seit Wochen protestieren die Gegner des milliardenschweren Bahnprojekt Stuttgart 21. Zu den Zehntausenden, die auf die Straße gehen, zählen sonst biedere Bürger. Das Ausmaß des Widerstands überrascht selbst die Polizei. Demonstranten haben am Donnerstag die Abrissarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof behindert.
Ein ICE im heutigen Stuttgarter Hauptbahnhof Foto: Marcel Manhart
Sieben Aktivisten hielten das Dach des Nordflügels stundenlang besetzt, so dass die Arbeiten nicht fortgesetzt werden konnten, wie eine Polizeisprecherin auf Anfrage einer Nachrichtenagentur
sagte. Spezialkräfte der Polizei holten die Besetzer am Donnerstagnachmittag vom Dach herunter. In der Landesregierung wächst bereits die Sorge vor den Wahlen im Frühjahr.
Der Schwabe gilt gemeinhin als eher bodenständige Natur. Aber ist erst einmal der Widerstandsgeist in ihm geweckt, kann er auch anders. Die heftigen Proteste in Stuttgart sind dafür
eindrücklicher Beweis. In Stuttgart ist eine Massenbewegung entstanden. Die Akribie und Sorgfalt, mit der in Baden-Württemberg sonst Autos gebaut werden, lassen die Organisatoren nun bei der
detaillierten Planung ihrer Protests zur Geltung kommen.
Mitstreiter werden per Email- und SMS-Alarm zu Demonstrationen, Gebäudebesetzungen und Sitzblockaden zum Schutz des Parks aufgerufen. Wer mitmacht, kann auswählen, in welcher von insgesamt drei
Proteststufen er sich anmelden will. Die höchste, Alarmstufe Rot, bedeutet sich im Zweifelsfall auch Baufahrzeugen in den Weg zu stellen oder sich an Bäume zu ketten. Als Demonstranten unlängst
die Anlieferung von Baggern verhindern wollten, gab es Platzwunden bei Rangeleien mit der Polizei.
Zudem versammelten sich rund 200 Demonstranten vor dem Gebäude, um erneut gegen das Projekt zu demonstrieren. Die Polizei und das Innenministerium beklagten die zunehmend unfriedlichen Aktionen.
Die Grünen forderten eine Überprüfung der Bundeszuschüsse und der Finanzierung für das Milliardenprojekt.
Die Arroganz der Macht
Die Protestierer kommen aus allen Schichten und Altersgruppen, hat Oscar W. Gabriel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart, beobachtet. Zu den Aktivisten zählen Mütter,
Architekten, Hausfrauen, Handwerker, Senioren. Eine 54 Jahre alte Frau erzählte am Mittwoch dem Rundfunk aufgebracht, wie sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben von Polizisten wegtragen ließ.
Ihre Wut ist damit noch weiter gewachsen.
Längst hat die Auseinandersetzung die Ebene nüchterner Sachlichkeit verlassen. Die Stimmung ist emotional und aufgeheizt. Die Demonstranten fühlen sich als Vertreter der schweigenden Masse, die von Politik- und Wirtschaftsinteressen überrollt wird. Von der Arroganz der Macht ist immer wieder die Rede. Rein formal ist die das Projekt mehrfach durch demokratische Instanzen abgesegnet.
Eine Stadt im organisierten Chaos
Teils hat der Protest bizarre Züge bekommen. So sollen vor einigen Tagen mehrere hundert Demonstranten ein feierliches Gelöbnis gegen Stuttgart 21 abgelegt haben. „Wir geloben, den Bahnhof zu
schützen, den Nordflügel, den Südflügel, wir geloben, den Park zu schützen, jeden Baum.“
Auch an diesem Donnerstag Morgen sind einige Hundert wieder gekommen. Am Tag zuvor hat der Abriss des denkmalgeschützten alten Nordflügels begonnen. Tausende demonstrierten. Die Polizei sprach
von 6000 Demonstranten, die Veranstalter gaben die Zahl mit 12.000 an. Mit ihren Straßenblockaden verursachten sie am Abend ein Verkehrschaos mit Staus bis an die Stadtgrenzen. Sechs Aktivisten
hielten auch am Donnerstag weiter das Dach des alten Bahnhofs besetzt. Sie fordern Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer auf, den Abriss bis Freitag zu stoppen. So lange wollen sie dort
ausharren.
Die Grünen organisieren den Protest
Die Polizei hat derweil ihre Gangart verschärft. Nach den Auseinandersetzungen am Mittwoch beklagt derweil die zunehmend unfriedlichen Aktionen der Demonstranten. Die Proteste hätten ihren
friedlichen Charakter verloren und die "Grenzen des zivilen Ungehorsams" überschritten, betonte Polizeipräsident Siegfried Stumpf. "Dies hat mit verständlichen Protesten sowie zivilem Ungehorsam
bei weitem nichts mehr zu tun." Bei den Proteste handle es sich um das "Gemeinwesen nachhaltig beeinträchtigende Straftaten". Wer Rettungskräfte blockiere, handle kriminell.
Der Aufstand der Stuttgarter bleibt auch in der Politik nicht ohne Auswirkungen. In der Landeshauptstadt selbst sind die Grünen, die sich mit Nachdruck bei den Protesten engagieren, eine Macht.
Sie stellen mit 25,3 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Auch auf Landesebene scheint der Widerstand gegen Stuttgart 21 anzukommen. Einer Umfrage vom Juli zufolge
liegt Rot-Grün derzeit vorne – und das in Baden-Württemberg, einem Kernland der CDU.
Aussagen "hoch fahrlässig"
Unterdessen wies der Düsseldorfer Architekt von Stuttgart 21, Christoph Ingenhoven, die Forderung des ehemaligen Mitarbeiters, Frei Otto, nach einem Baustopp zurück. Die Aussagen seien "hoch
fahrlässig" und "nah an der Panikmache", sagte er unserer Redaktion. Otto habe nicht alle wichtigen Informationen gehabt, um das beurteilen zu können, erklärte er. Otto warnte in einem
"Stern"-Interview davor, Stuttgart 21 sei nicht sicher und fordert einen Baustopp. Der Architekt schied vor rund einem Jahr wegen Sicherheitsbedenken aus dem Projekt aus.
Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven hat gegenüber unserer Redaktion die Forderung eines ehemaligen Mitstreiters beim Bahn-Projekt "Stuttgart 21", Frei Otto, nach einem Baustopp scharf zurückgewiesen. Unterdessen fordern die Grünen eine Überprüfung der Bundeszuschüsse für das Projekt.
"Die Aussagen von Frei Otto sind hoch fahrlässig", sagte Ingenhoven. Diese Aussagen seien "nah an der Panikmache", kritisierte Ingenhoven. Otto habe, "obwohl eingebunden in das Projekt, nicht
alle wichtigen Informationen gehabt, das zu beurteilen. Er ist überhaupt nicht kompetent, etwas zu den Komplexen zu sagen".
Der Stuttgarter Architekt Frei Otto war vor einem Jahr wegen Sicherheitsbedenken aus dem Projekt ausgeschieden. In einem Interview hatte er jetzt vor einer Gefahr für Leib und Leben gewarnt, wenn
der Bau realisiert werde.
Verpflichtungserklärungen
Die Grünen fordern eine Überprüfung der Bundeszuschüsse und der Gesamtfinanzierung für den umstrittenen Umbau. "So lange die Bahn ihre Wirtschaftlichkeitsrechnungen dem Bundestag weiter
vorenthält, kann es keine Bundesmittel geben", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Winfried Hermann, dem "Tagesspiegel".
Laut Hermann hatte der Bundestag Ende 2008 für das Projekt "Stuttgart 21" und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm Verpflichtungserklärungen abgegeben. Inzwischen seien die damals angesetzten Kosten
um fast 50 Prozent gestiegen, meinte der Verkehrsexperte.
Für eine realistische Beurteilung müssten die Abgeordneten die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Bahn einsehen können, die ihnen mit Hinweis auf schützenswerte Unternehmensgeheimnisse vorenthalten
werde. "Die Zahlen müssen endlich auf den Tisch", forderte Hermann. Es gebe "viele Indizien dafür, dass auch diese Zahlen den wirklichen Bedarf noch lange nicht decken und am Ende mehr als zehn
Milliarden fällig werden."
Demo für Baustopp
Nach dem Beginn der Abrissarbeiten an der Fassade des Nordflügels demonstrierten am Mittwochabend mehrere Tausend Menschen für einen Baustopp. Nach Angaben der Organisatoren waren 12.000
Teilnehmer zusammengekommen, die Polizei zählte auf dem Platz vor dem Nordflügel etwa 5000 Protestierende.
Indessen beklagt die Polizei, die Demonstrationen würden zunehmend aggressiv, verlören ihren friedlichen Charakter und überschritten die Grenzen des zivilen Ungehorsams. So seien Feuerwehr und
Rettungskräfte bei einem Notfall während der Fahrt und am Einsatzort von "Stuttgart 21"-Gegnern bedrängt und behindert worden. In der Innenstadt hatten bis zu 200 Aktivisten bis in den späten
Abend hinein Straßen blockiert.
Auf der Bundesstraße 14 errichteten Demonstranten Barrikaden aus Mülltonnen. Dies habe mit verständlichen Protesten und zivilem Ungehorsam bei weitem nichts mehr zu tun, sagte Stuttgarts
Polizeipräsident Siegfried Stumpf. "Wer Rettungskräfte blockiert, handelt kriminell."
Sieben "Stuttgart 21"-Gegner hatten den zum Teil bereits eingerissenen Seitenflügel des Bahnhofs erklommen und befestigten dort ein Banner, auf dem sie den Rücktritt von Oberbürgermeister
Wolfgang Schuster (CDU) forderten, mit der Aufschrift: "Brandstifter Schuster - Raus aus dem Rathaus". Die Aktivisten kündigten an, von dem Dach freiwillig herunterzukommen, wenn
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bis Freitag einen Baustopp veranlasse.
Aufruf zu Menschenkette
Der Stuttgarter Schauspieler Walter Sittler und der Sprecher des Bündnisses der "Stuttgart 21"-Gegner, Gangolf Stocker, riefen zu einer Menschenkette um den Landtag am Freitagabend auf. Bis dahin
sollten die "Stuttgart 21"-Gegner dafür sorgen, dass durch den Eingang des Baugelände "nichts mehr rein und nichts mehr raus" komme, sagte Stocker. Mindestens 500 Menschen müssten in den nächsten
Tagen vor dem Zaun stehen.
Ein Stopp des umstrittenen Milliarden-Projekts, wie von den Demonstranten gefordert, würde maximal 400 bis 500 Millionen Euro kosten. Zu diesem Schluss kommt der Bahnexperte und Gutachter
Christian Böttger. Der Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin widersprach damit Projektsprecher Wolfgang Drexler, der ein Aus von "Stuttgart 21" mit mindestens 1,4
Milliarden Euro veranschlagt habe.
Bei dem Milliardenprojekt "Stuttgart 21" soll der Hauptbahnhof der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt vom Kopf- zum unterirdischen Durchgangsbahnhof umgestaltet und der Flughafen an das
Schienennetz angebunden werden. Zudem ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm geplant.
Ein TGV im Stuttgarter Kopfbahnhof Foto: Marcel Manhart
Wer sich im Detail mit den Argumenten von Befürwortern und Gegnern auseinandersetzt, stellt schnell fest, wie kompliziert die Dinge in Stuttgart liegen.
In der Hauptstadt Baden-Württembergs soll ein unterirdischer Durchgangsbahnhof den historischen Kopfbahnhof ersetzen. Für das Projekt Stuttgart 21 wird die größte Baustelle Europas angelegt. Der Widerstand wächst von Tag zu Tag und stellt demokratische Spielregeln in Frage.
Heute werden sich wieder Tausende von Demonstranten vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof versammeln und gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 protestieren. Sie wollen verhindern, dass in einem gigantischen Kraftakt – der wenigstens zehn, vielleicht aber auch 15 oder 20 Jahre dauern wird – sämtliche Gleisanlagen der Schwaben-Metropole in den Untergrund verlegt werden. In dieser Woche sind die ersten Bagger angerückt, das hat dem Bürgerzorn zusätzlich Auftrieb gegeben. Zur 40. Montags-Demonstration in drei Tagen werden wahrscheinlich so viele Menschen kommen wie noch nie und Transparente tragen mit Aufschriften wie "Endstation Wahnhof" oder "Bei Abriss Aufstand".
"Die Schwaben sind nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, aber wenn sie einmal aufgebracht sind, sind sie es ausdauernd", sagt Axel Wieland, Vorsitzender des BUND in Stuttgart und einer der
Organisatoren des Widerstands gegen das Bahnprojekt. Freundliche ältere Herren proben Sitzblockaden vor dem Bauzaun, jugendliche Demonstranten machen ihrem Ärger mit Vuvuzela-Lärm Luft: Die
Protestierer kommen aus allen Schichten und Altersgruppen, hat Oscar W. Gabriel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart, beobachtet.
Was aber treibt nun die Bürger auf die Barrikaden gegen ein Projekt, dessen Für und Wider jahrzehntelang abgewogen worden ist und das in allen Volksvertretungen – vom Stuttgarter Gemeinderat bis
zum Bundestag – deutliche Mehrheiten erhalten hat? Es habe seitdem eine Fülle von neuen Erkenntnissen gegeben, die Stuttgart 21 fragwürdig erscheinen ließen, sagt Axel Wieland.
An erster Stelle nennt er ein von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebenes und zwei Jahre lang unter Verschluss gehaltenes Gutachten. Schweizer Experten äußern darin die Sorge, dass der neue
unterirdische Bahnhof mit seinen acht Gleisen zum Nadelöhr werden könnte, während der historische 17-gleisige Kopfbahnhof deutlich flexibler auf Störungen im Bahnbetrieb reagieren könne. Eine
zweite, für das Umweltbundesamt erstellte Studie, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Stuttgart 21 im Verbund mit der Neubaustrecke nach Ulm mehr schadet als nutzt.
Die Geologie des Stuttgarter Talkessels liefert den Projekt-Gegnern ein weiteres Argument. Das dort reichlich vorkommende Anhydrit quillt beim Kontakt mit Wasser um bis zu 50 Prozent auf. Bei den
vielen Tunnelkilometern, die gebohrt werden müssen, dürfte sich vielerorts die von den Ingenieuren gefürchtete "Salzsprengung" kaum vermeiden lassen.
Für Wieland ist klar, dass diese Komplikationen den Zeit- und den Kostenrahmen des Projekts sprengen werden. Es sei völlig unklar, wie das Aufschwimmen der unterirdischen Station verhindert
werden soll. Derzeit gehen die Bauherren von Gesamtkosten mit Tunnelzufahrten von 4,1 Milliarden Euro aus.
Die Lichtkuppeln der neuen Station sind den Widerständlern ein weiterer Dorn im Auge. Denn sie trennen als "Riesen-Querriegel" den innenstadtnah gelegenen Teil des Schlossparks von der übrigen
Gartenanlage, kritisiert Wieland. "Das greift ins Herz der Stadt ein." Es nütze wenig, wenn der spätere Abbau der überflüssigen oberirdischen Gleisanlagen die Erweiterung des Schlossparks
ermögliche. Wieland beklagt auch, dass 200 alte Bäume gefällt werden sollen.
Unterschiedliche Ansichten gibt es zudem über den architektonischen Rang des 1927 von Paul Bonatz erbauten Kopfbahnhofs. Der Nordflügel des denkmalgeschützten Gebäudes soll für Stuttgart 21
abgerissen werden. Die Haupthalle bleibt als Zugang zu den Gleisen erhalten. Während der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven (der den neuen Bahnhof entwarf) den Bonatz-Bau als Produkt
einer antimoderne Haltung bezeichnet, wollen einige Stuttgarter ihren alten Bahnhof am liebsten als Unesco-Weltkulturerbe sehen. Allerdings gründlich modernisiert – für einen Bruchteil der Summe,
die Stuttgart 21 kosten soll.
Der Weg zu diesem Ziel scheint jedoch versperrt. Abgesehen davon, dass angeblich 1,4 Milliarden Euro verloren wären, wenn man jetzt abbräche, gibt es keinen verfassungsgemäßen Weg, die
Parlamentsbeschlüsse rückgängig zu machen. Für Wieland stellt sich deshalb die Demokratiefrage. Die Bürger dürften nur alle paar Jahre ihre Vertreter wählen, hätten aber bei der Entscheidung zu
konkreten großen Projekten nichts zu sagen. Dieses Demokratieverständnis findet Politologe Gabriel problematisch. Demokratie bedeute, auch Entscheidungen zu akzeptieren, mit denen man nicht
einverstanden sei. Der Protest hätte vor den Entscheidungen kommen müssen.
Laut Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Aber, so heißt es in Artikel 20 weiter, "sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt".
Im eskalierenden Streit über den milliardenteuren Umbau des Stuttgarter Bahnhofs haben die Grünen in Baden-Württemberg die Entscheidungsträger in der Politik und der Deutschen Bahn am Dienstag zu einem Spitzengespräch eingeladen. Die Polizei kündigte einen Strategiewechsel im Umgang mit den Demonstranten an, nachdem es am Montagabend strafbare Protestaktionen gab.
Die Einladung zu dem Spitzengespräch richteten die Grünen im Landtag und Stuttgarter Gemeinderat unter anderem an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU),
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Bahn-Chef Rüdiger Grube. Die Grünen schlagen vor, während des Baustopps solle eine "paritätisch" besetzte Konferenz die Vor- und Nachteile des
Projekts "ergebnisoffen" prüfen. Dies "bedeutet natürlich auch, dass es zu einem Ausstieg aus dem Projekt Stuttgart 21 kommen kann", erklärte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag,
Winfried Kretschmann.
Die Projektgegner riefen unterdessen zu einer Großdemonstration am Freitag auf und rechnen mit mehr als 20.000 Teilnehmern. Zudem solle es "zu massenhaften Aktionen des zivilen Widerstands
kommen", wenn mit dem eigentlichen Teilabriss des Kopfbahnhofs begonnen werde. Der Bahnhof soll zu einer unterirdischen Durchgangsstation mit Anbindung an den Flughafen umgewandelt werden.
Bei einer Demonstration gegen das Projekt waren am Montagabend 300 Demonstranten in das abgesperrte Baugelände eingedrungen. Aktivisten hatten dazu offenbar den Bauzaun durchgesägt und auf dem
Gelände Parolen gegen das Bauprojekt skandiert. Die Stuttgarter Polizei befürchtet nun eine zunehmende Aggressivität unter den Demonstranten und will ihr bislang "äußerst versammlungsfreundliches
Verhalten" überdenken, wie Polizeisprecher Stefan Keilbach ankündigte.
Zu den Maßnahmen zählten etwa deutlich mehr Präsenz, aber auch die Video-Überwachung des Bahnhofsplatzes. Diese "intensiveren Maßnahmen" dienten auch dazu, das Versammlungsrecht friedlicher
Demonstranten zu schützen, sagte er.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Winfried Hermann forderte Kostentransparenz für das Bahnhofsprojekt. Bund, Land und Deutsche Bahn verweigerten aber vehement die Offenlegung
der Verträge und vor allem der Wirtschaftlichkeitsberechnung, erklärte Hermann in Berlin. Das Bahnhofsprojekt sei von der Landesregierung mit erhöhten Trassenpreisen quersubventioniert worden.
Die dadurch entstandenen Zusatzkosten summierten sich für das Land auf insgesamt 600 Millionen Euro.
Die baden-württembergische Landesregierung hatte den Vorwurf fragwürdiger Koppelungsgeschäfte zurückgewiesen. Das gesamte Projekt einschließlich der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm habe 2001 wegen
Unwirtschaftlichkeit auf der Kippe gestanden, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums in Stuttgart. Deshalb sei 2002 zusätzlicher Nahverkehr, sogenannte Zugkilometer, für Stuttgart 21 bei der
Deutschen Bahn vorab bestellt worden. Die Bahn habe mit den zusätzlichen Geldern für die Gleisnutzung das Projekt Stuttgart 21 weiter planen können. Dies Verfahren sei transparent gewesen und der
Öffentlichkeit mitgeteilt worden.
Am Freitag hatten am Stuttgarter Hauptbahnhof die äußeren Abrissarbeiten begonnen, um einem unterirdischen Durchgangsbahnhof Platz zu machen. In der Bevölkerung der baden-württembergischen
Landeshauptstadt gibt es großen Widerstand gegen das Mammutprojekt. Mehr als 21.000 Bürger unterzeichneten bislang einen sogenannten Stuttgarter Appell, um die seit Februar laufenden Bauarbeiten
doch noch zu stoppen.