Bei Ausland-Billetten rechnet die SBB mit veraltetem Euro-Kurs

So reden sich die Firmen heraus

Der Import aus dem Euroraum wird immer günstiger. Doch die Schweizer Händler übertreffen sich gegenseitig mit Ausreden, weshalb sie die tieferen Preise nicht weitergeben.

 

Von Mirjam Comtesse - Tages Anzeiger

 

Gestern kostete ein Euro noch Fr.1.34. Seit Anfang Jahr hat die Einheitswährung gegenüber dem Franken um rund 10 Prozent oder 15 Rappen nachgegeben. Ein Schweizer Händler, der Waren aus Europa bezieht, zahlt also real immer weniger dafür. Doch wieso spüren die Konsumentinnen und Konsumenten kaum etwas davon?

«Die Preise kleben», sagt dazu der Dachverband des Schweizer Handels, Handel Schweiz. Was genau es mit diesem Phänomen auf sich hat, zeigen exemplarisch die SBB.

Ausrede 1
Bei Billetten ins Ausland rechnet die Bahn mit einem veralteten und viel zu hohen Euro-Kurs von Fr.1.56. Festgesetzt wurde dieser Wert im Juli 2009 – und er gilt noch bis zum Fahrplanwechsel diesen Dezember. Bis dahin haben die Kunden also keine Chance auf faire Preise – ausser sie beziehen ihre Billette direkt per Kreditkarte bei einer ausländischen Bahn. Wenn sie etwa bei der französischen Staatsbahn SNCF ein Retourticket von Bern nach Paris lösen, legen sie 318 Franken hin. Die SBB verlangen satte 352 Franken. Technische Hürden hinderten sie leider daran, die Preise zu senken, erklärten die SBB diese Woche im «Blick»: «Anpassungen der Software sind nur mit Aufwand und langen Vorlaufzeiten machbar.»

Bei der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) findet man solche Argumente absurd: «Es ist doch in der heutigen Zeit nicht mehr möglich, dass ein Unternehmen behauptet, die Technik lasse eine schnelle Reaktion nicht zu», sagt die SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder.

Ausrede 2
Ebenfalls eine beliebte Ausflucht diverser Firmen ist, dass sie die neuen Preise ja zuerst kommunizieren müssten. «Preisumstellungen in den Katalogen und im Internet kosten Geld», schreibt Handel Schweiz.

Damit kann Sara Stalder wenig anfangen: «Man muss die Kataloge gar nicht anpassen.» Die Unternehmen könnten einfach ihren Kunden sagen, dass auf den angegebenen Preisen ein Rabatt gelte.

Ausrede 3
Vor allem die Auto- und Detailhändler verweisen darauf, dass sie ihre Waren teilweise schon früher zu einem ungünstigeren Euro-Kurs eingekauft hätten. «Von der Herstellung eines Autos bis zur Auslieferung an den Kunden dauert es rund drei Monate», hielt Max Nötzli, Präsident der Vereinigung der Automobilimporteure (auto-schweiz), kürzlich in dieser Zeitung fest. Die Schwäche des Euro wirke sich deshalb erst verzögert aus – voraussichtlich im Herbst.

«Das Problem mit den älteren Lagerbeständen verstehen wir teilweise», meint die Konsumentenschützerin Sara Stalder. «Doch der Euro-Kurs sinkt seit einem halben Jahr stetig. Die Lager sind langsam erschöpft, und es wäre nun Zeit für eine Reaktion.» Der Autohändler Renault mache es vor: Er gewährt seinen Kunden zurzeit einen Euro-Rabatt von 2000 Franken.

Ausrede 4
Wie Renault haben auch die Detailhändler auf die Euro-Schwäche reagiert: Bei Coop sind mittlerweile rund 200 Produkte günstiger zu haben. Ohnehin neu festgelegt werden jede Woche die Preise von Früchten und Gemüse. Die Migros verbilligte ebenfalls einen Teil des Sortiments. Sara Stalder lobt: «Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.» Doch das Ziel sei noch lange nicht erfüllt.

Coop erklärt auf Anfrage, weshalb weitere Senkungen im Moment nicht möglich seien: «Bei den Kosmetika etwa haben wir Jahresverträge mit den Generalimporteuren, und wir bezahlen die Lieferungen in Schweizer Franken.» Die Kaufbedingungen liessen sich deshalb nicht so schnell ändern.

Ausrede 5
Die Konsumentenschützerin ärgert sich vor allem über das Jammern der Importeure, die Transport-, Energie- und Rohstoffkosten hätten zugelegt. «Die umfangreichen Gegenargumente der Händler sollten uns vermutlich vermitteln, dass wir froh sein müssen, dass die Preise nicht schon längst gestiegen sind», meint sie.

Auch dass sich der US-Dollar im Gegensatz zum Euro nicht auf Talfahrt befindet, lässt Sara Stalder nicht als Argument gelten. Vor allem die Kleiderbranche und die Unterhaltungselektronik geben die Abrechnung in US-Dollar als Grund dafür an, dass sie ihre Preise nicht angepasst haben. So kostet ein Fernseher heute immer noch gleich viel – obwohl er in der EU um 15 Prozent günstiger zu haben wäre. «Rund 80 Prozent all unserer Importe kommen aus dem EU-Raum», betont Sara Stalder.

Ausrede 6
«Wir leben in der freien Marktwirtschaft», sagt die SKS-Geschäftsleiterin. Deshalb könnten keine tieferen Preise erzwungen werden. Sie hofft auf die Vorbildfunktion der Detailhändler. Und tadelt die Automobilbranche. Es sei eine Frechheit, dass die Autohändler nichts unternähmen, aber den Käufern rieten, nach Rabatten zu fragen. Volkswirtschaftlich sei es kaum sinnvoll, wie auf einem Basar stundenlang zu verhandeln.

Sara Stalder verspricht: «Wenn der Euro-Kurs so bleibt oder weiter sinkt, werden wir im Herbst nochmals bei den Unternehmen nachfragen, wie und ob sie nun endlich gehandelt haben.»