Die Schweiz ist sensationell in die WM gestartet: Mit einem 1:0-Sieg gegen den Europameister und Gruppenfavoriten Spanien setzt sich die Schweiz in Durban durch!
Wer hätte das gedacht? Nach dem ersten Spiel gegen einen der meistgenannten WM-Favoriten haben die Schweizer drei Punkte auf dem Konto und führen die Gruppe H zusammen mit Chile an. Eine
heldenhafte Abwehrschlacht und ein erfolgreicher, von Gelson Fernandes abgeschlossener Konter nach 52 Minuten führten zum historischen Erfolg: In 18 Begegnungen zuvor hatte die Schweiz Spanien
nie schlagen können.
Die Schweiz stand gegen den Europameister unter Dauerdruck. Die Spanier zogen ihre Kombinationsspiel auf, passten sich den Ball technisch perfekt zu und näherten sich spielerisch leicht dem
gegnerischen Strafraum. Doch die Schweizer konnten dennoch die ganz grossen Torchancen mehrheitlich verhindern. Sie standen tief in der eigenen Platzhälfte. Die Konzentration lag klar auf der
Defensivarbeit. Die Rechnung von Ottmar Hitzfeld, den Spaniern möglichst wenig Raum zur Entfaltung zu lassen, ging auf.
Erst nach 21 Minuten schossen die Spanier erstmals aufs Schweizer Tor, drei Minuten später erspielten sie sich die erste sehr gute Möglichkeit. Andres Iniesta fand Innenverteidiger Piqué im
Strafraum, der zwar Stéphane Grichting ausdribbeln konnte, aber an Goalie Diego Benaglio scheiterte. Der Schweizer Keeper war der erwartet starke Rückhalt. Er liess sich nichts zuschulden kommen.
Seine Interventionen waren sauber und einige Male entscheidend. In der 63. Minute wäre er allerdings chancenlos gewesen, als Iniesta sein Glück mit einem Weitschuss versuchte.
Zu diesem Zeitpunkt führte die Schweiz 1:0. In der 52. Minute kam die Schweiz zum "Lucky Punch". Ein Auskick von Benaglio landete via Fernandes bei Eren Derdiyok, der zusammen mit Blaise Nkufo
den Schweizer Zwei-Mann-Sturm bildete. Derdiyok tankte sich durch den Strafraum, fiel, doch Fernandes war zur Stelle, um ins verlassene Tor einzuschieben. Für den Spieler von St-Etienne war es
der zweite Länderspiel-Treffer, für die Schweiz die äusserst glückliche Führung. Denn so stark die SFV-Auswahl auch verteidigte, so harmlos waren sie bis zum 1:0 in der Vorwärtsbewegung gewesen.
Die einzige nennenswerte Aktion der ersten Halbzeit war ein Freistoss von Reto Ziegler, der Spaniens Goalie Iker Casillas zu einer kleineren Parade zwang.
Mehr Druck entfaltete die Schweiz nach der Pause und speziell nach dem 1:0. Nach einem Konter wären die Schweizer beinahe zum zweiten Tor gekommen, doch der starke Derdiyok traf nach einem
schönen Solo nur den Pfosten (74.). Die Spanier kamen trotz ihrer klaren Dominanz und obwohl sie die Kadenz nach dem 0:1 noch erhöhten zu keinem Treffer. Das lag einerseits an der guten
Verteidigungsarbeit der Schweizer, anderseits am Pech des Europameisters. Den schlecht spielte der Favorit keineswegs, doch der Ball fand - zum Glück für die Schweiz - den Weg nicht ins Netz. Am
nächsten kam Xabi Alonso dem Ausgleich, als er mit einem Schuss aus 20 Metern die Latte traf.
Die Schweiz geht nun mit exzellenten Perspektiven in die nächsten zwei Gruppenspiele. Am Montag wartet Chile und am Freitag in einer Woche Honduras. Mit einem Sieg gegen die Südamerikaner würden
die Schweizer wahrscheinlich schon die Achtelfinal-Qualifikation perfekt machen.
Das Matchtelegramm zu Spanien - Schweiz 0:1 (0:0)
Moses Mabhida, Durban. - 62'453 Zuschauer. - SR Webb (Eng). - Tor: 52. Fernandes 0:1.
Spanien: Casillas; Sergio Ramos, Piqué, Puyol, Capdevila; Busquets (ab 61. Torres), Xabi Alonso; David Silva (ab 62. Navas), Xavi, Iniesta (ab 77. Pedro); Villa.
Schweiz: Benaglio; Lichtsteiner, Senderos (ab 36. Von Bergen), Grichting, Ziegler; Barnetta
(ab 92. Eggimann), Huggel, Inler, Fernandes; Derdiyok (ab 79. Yakin); Nkufo.
Bemerkungen: Schweiz ohne Behrami und Frei (beide verletzt). 36. Senderos verletzt ausgeschieden. 70. Lattenschuss Xabi Alonso. 74. Pfostenschuss Derdiyok.
Verwarnungen: 30. Grichting (Foul). 73. Ziegler (Foul). 91. Benaglio (Spielverzögerung).
94. Yakin (Handspiel).
Offiziell wurde Torschütze Gelson Ferndandes zum «Man of the Match». Überragend spielte aber vor allem ein anderer: Diego Benaglio.
10. Minute: Diego Benaglio fliegt David Villa in die Beine, krallt sich den Ball vom Fuss des zukünftigen Barcelona-Stürmers. 23. Minute: Gérard Pique steht nach einem Zuckerpass von Andres
Iniesta plötzlich alleine vor Diego Benaglio. Der Schweizer rettet mirakulös. 51. Minute: Ein hoher Ball fliegt durch den Schweizer Strafraum und Benaglio wischt am weiten Pfosten quasi vor der
Stirn von Sergio Ramos in Corner. 61. Minute: Villa stürmt auf Benaglio zu, wieder ist der Schweizer schneller und krallt sich Jabulani. 70. Minute: Benaglio kann nur noch zuschauen, wie der
Schuss von Xabi Alonso an die Latte knallt. Das Gehäuse scheint Minuten danach noch immer zu wackeln. 72. Minute: Benaglio klärt gegen Jesus Navas.
Keine Frage: Diego Benaglio spielte eine ausgezeichnete Partie. Entsprechend gefragt war der Schweizer Keeper danach in der sogenannten Mixed Zone, wo sich die Spieler auf dem Weg von der Dusche
in den Bus den Fragen der Journalisten stellen können oder müssen. «Es war eine sehr gute Partie von allen», meinte der Wolfsburger. «Man hat von der ersten Minute an gesehen, dass wir es den
Spaniern so schwer wie möglich machen wollten.»
«Müssen nüchtern bleiben»
Zweifel waren in den letzten Wochen und spätestens seit dem 0:1 gegen Costa Rica aufgekommen. «Wir haben immer an uns geglaubt», sagte nun nach vollbrachter Heldentat Benaglio, der von seinem
Trainer mit den Etiketten «Weltklasse» und «fokussiert auf den Punkt» geadelt worden war. «Den Sieg haben alle verdient. Und wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte, dann bin ich
sicher zufrieden», entgegnete der 27-Jährige und 28-fache Internationale schon fast pervers bescheiden.
Dass sich die Spanier mit ihrem enormen Offensivpotenzial Torchancen erarbeiten würden, war laut Benaglio nicht zu vermeiden. «Wir wussten, dass es schwierig wird. Aber alle haben bis zur letzten
Minuten gefightet», so Benaglio. «Es ist ein sehr schönes Gefühl. Das hat uns die breite Öffentlichkeit nicht zugetraut, dass wir einen der Favoriten auf den Titel schlagen können», meinte der
gebürtige Zürcher, der früh nach Stuttgart ausgezogen war.
Doch selbst nach dem historischen Sieg, der mit dem 4:2-Erfolg an der WM 1938 gegen Grossdeutschland oder dem 2:1-Sieg an der Heim-WM 1954 gegen Italien gleichzusetzen ist, blieben die Schweizer
bescheiden und blickten bereits voraus auf die nächsten beiden Gruppenspiele. «Wir müssen nüchtern bleiben», meinte denn Benaglio. «Die drei Punkte helfen uns nur etwas, wenn wir auch nachlegen.
Und wir werden alles daran setzen, um weiterzukommen.»
Bericht SF Schweiz Aktuell vom Mittwoch 16. Juni 2010: