Fehlplanungen beim neuen Hauptbahnhof in Wien

Rechnungshof-Prüfer stellen dem 1,2-Milliarden-Projekt ein teilweise verheerendes Zeugnis aus.

Die Kritikpunkte: schlechte Verkehrsanbindung und fehlende Kostenkontrolle.

 

Von Martin Stuhlpfarrer - Die Presse

Auf dem Gelände des ehemaligen Südbahnhofes entsteht der neue Hauptbahnhof

                                                                                                  Foto: Marcel Manhart

 

Es ist das größte Infrastrukturprojekt Österreichs und gehört zu den derzeit größten Baustellen Europas – der Hauptbahnhof Wien, der auf dem Areal des Südbahnhofs entsteht und von großzügigen Immobilienprojekten umrahmt wird. Der Rechnungshof (RH) hat sich das 1,2 Milliarden-Projekt angesehen, und seit Montag liegt der Bericht über den Hauptbahnhof, die Verkehrsanbindung und die Immobilienprojekte vor. Und stellenweise liest sich dieser Bericht, als hätten griechische Stellen bei dem heimischen Großprojekt mitgeplant: 

 
• Fehlplanung bei U-Bahn-Anbindung. In dem Bericht heißt es wörtlich: „Die Anbindung des Hauptbahnhofs an das U-Bahn-Netz wurde von der Stadt Wien nicht als vorrangiges Ziel verfolgt.“ Die Stadt argumentiert gegenüber dem RH, dass die U2 durch drei wichtige Stadtentwicklungsgebiete geführt wird um diese zu erschließen – der Anschluss an den Hauptbahnhof gehe sich eben nicht mehr aus.

Während die U2-Verlängerung im Süden (Karlsplatz bis Gudrunstraße) ab 2019 in Sichtweite des Hauptbahnhofes verhungern wird, zerreißt der Rechnungshof die Argumente der Stadt förmlich in der Luft: Die U-Bahn-Trasse durch die Entwicklungsgebiete bringe deutlich weniger als von der Stadt behauptet; die Erschließungswirkung der 700 Millionen Euro teuren U-Bahn liege massiv unter jenem Wert, der anzustreben sei.

 

„Die Anbindung des Hauptbahnhofs an das U-Bahn-Netz wurde von der Stadt Wien nicht als vorrangiges Ziel verfolgt.“

Aus dem Rechnungshofbericht
Dazu kommt: Der Hauptbahnhof wird um mehr als eine Milliarde Euro neu gebaut – trotzdem wird die U1 nicht integriert sondern verhungert rund 440 Meter vor dem Bahnhof. In anderen Worten: Wer künftig mit der U1 anreist, muss sein Gepäck zu Fuß fast sieben Minuten bis zum Hauptbahnhof schleppen. Als wäre das nicht genug, hält der Rechnungshof wörtlich fest: „Die Kapazitätsreserven der U1 waren knapp kalkuliert.“ Im Klartext: Es ist fraglich, ob die Kapazität der U1 als einzige U-Bahn-Linie überhaupt ausreicht. Und damit bewahrheitet sich, was die „Presse“ bereits am 29. Mai 2009 exklusiv berichtet hatte: Die Prüfer zerlegen förmlich die Argumente der Stadt und fordern eine U2-Anbindung des Hauptbahnhofs.

• Standseilbahn ist gestorben. Der nächste Tiefschlag für die Stadt: Bisher wurde argumentiert, dass der Hauptbahnhof über eine Standseilbahn (Automatic Peopole Mover – APM) an die U1 angebunden wird. Nur: Das Projekt APM ist gestorben. Offiziell bestätigen will das (vor der Wien-Wahl) weder Stadt Wien noch ÖBB. Doch die Kostenexplosion des ÖBB-Projektes (mehr als 50 Millionen statt veranschlagten 25,4 Millionen Euro) bedeutet das Ende – was die ÖBB in die Bredouille bringt. Die Bundesbahnen haben sich einem Immobilienentwickler gegenüber zu einer hochwertigen Verkehrsanbindung verpflichtet. Die wahrscheinlichste Variante: Die Station Südtirolerplatz muss saniert und völlig umstrukturiert werden.

Die RH-Kritik einer schlechten Verkehrsanbindung wies Planungsstadtrat Rudi Schicker postwendend zurück: „Die Umsteigerelationen werden eindeutig verbessert. Es wird beim Hauptbahnhof leichter als beim Westbahnhof sein.“ Kapazitätsprobleme bei der U1, wie vom RH angedeutet, werde es auch nicht geben, so Schicker.

• Kostenexplosion im Umfeld. „Die von der Stadt Wien zu finanzierenden Schätzkosten der technischen Infrastruktur (z. B. Straßenbau) erhöhten sich von Juli 2007 bis Februar 2009 um mehr als das Doppelte von 123 auf 259 Mio. Euro.“ Das kommentiert Schicker so: Es sei völlig unklar, auf welcher Basis der RH rechne, „dafür bleibt der Rechnungshof jegliche Quellenangabe schuldig.“

• Frage der Wirtschaftlichkeit. Im RH-Bericht heißt es wörtlich: „Das Projekt konnte nur durch die . . . Zusammenlegung mehrere ÖBB-Betriebssstandorte betriebswirtschaftlich positiv dargestellt werden. Dies führte zu einer erheblichen Ausweitung des Gesamtprojektes. Die voraussichtlichen Finanzierungskosten flossen nicht in die ÖBB-internen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen ein.“

Generell ortet der RH eine „mangelnde Kostenkontrolle“. Die Kosten sind von 2007 bis 2009 von 1,072 Mrd. Euro auf 1,2 Mrd. Euro gestiegen (die ÖBB erklärt dazu, die Kosten seien inflationsbereinigt stabil) – die Immobilienerlöse, mit denen der Bahnhof teilfinanziert werden soll, sanken im selben Zeitraum aber von 328 auf 263 Millionen Euro; eine Valorisierung fehlt. Dazu eine ÖBB-Sprecherin zur „Presse“: Man werde die Empfehlungen des Rechnungshofes umsetzen; teilweise seien Empfehlungen bereits umgesetzt worden.

• Fehlplanungen im Bund. Die vom Bund jährlich vorgesehenen Mittel von 87,5 Mio. Euro für die Finanzierung der vierten Ausbauphase der Wiener U-Bahn – einschließlich der Verlängerung der Linie U2 nach Süden – werden nicht ausreichen, die jährlichen Bauraten zu finanzieren, hält der RH fest. Die Folge: Der Bund wird trotz des verordneten Sparzwangs Schulden in der Höhe von rund 550 Millionen Euro eingehen müssen.

 

 

Seilbahn: Häupl rückt ab

Eine Standseilbahn für Wien wird wohl auch weiterhin ein Phantom bleiben: Nachdem bereits in der Vergangenheit ähnliche Projekte (etwa für den Prater) ad acta gelegt wurden, so wird nun auch jenes für den neuen Wiener Hauptbahnhof langsam, aber sicher zu Grabe getragen. Denn am Dienstag ging mit Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) auch der wohl prominenteste Befürworter des Cable Liners auf Distanz zu dem Bauvorhaben.

Zur Erinnerung: Häupl war es, der vor etwa einem Jahr verkündet hatte, dass der Cable Liner sicher kommen werde, solange er in der Stadt etwas zu sagen habe. In der Vorwoche berichtete schließlich die "Wiener Zeitung", dass sich laut ÖBB-Studie die Errichtungskosten für die Trasse zwischen Südtiroler Platz und 20er-Haus (siehe Grafik) von 30 auf rund 50 Millionen Euro verteuern würden. Danach gingen die ÖBB, die mit dem Projekt angeblich nie recht glücklich waren, bereits auf Distanz; am Montag folgte Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ), der sogar meinte, diesen "People Mover" habe man "nie" gebraucht.

Häupl ging auf seinen Parteifreund zwar nicht ein, erklärte aber unmissverständlich: "Wenn die Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen stehen, dann kommt der Cable Liner. Wenn nicht, dann nicht." Bedeutsam erscheint sein Nachsatz: Vertretbar wäre das Projekt nur dann, wenn die Kosten maximal 20 Prozent über jenen für ein herkömmliches Verkehrmittel liegen würden. Dies scheint aber bei weitem nicht gegeben: So hat der Rechnungshof in einem aktuellen Bericht zum Hauptbahnhof festgehalten (die "Wiener Zeitung" berichtete bereits im Februar), dass die Investitionskosten des Cable Liners gegenüber einer Straßenbahn das 3,2-Fache und gegenüber einem Bus das 13,4-Fache betragen würden.

 

Definitives vor Sommer

Häupl drängt in der Causa jedenfalls auf eine rasche Entscheidung – und zwar vor dem Sommer; schließlich würden die "korrekten Zahlen" ja schon vorliegen. Zwar attestiert der Bürgermeister, dass der "People Mover" Pep gehabt hätte, schränkt aber ein: "Ich habe keine semi-erotische Beziehung dazu." Schließlich sei auch so die Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel ausreichend gegeben.

Das sieht man jedoch bei der Erste Bank, die 2013 mit 4000 Mitarbeitern in die neue Konzernzentrale am Wiedner Gürtel ziehen wird, anders. Laut Kaufverträgen mit den ÖBB gebe es zwar nur eine schriftliche Klausel – Cable Liner oder Sanierung der S-Bahn-Station Südbahnhof –, daneben würden aber mündliche Abmachungen pro Cable Liner existieren: "Und wir vertrauen auf diese gemachten Zusagen der Wiener Politiker", erklärte Erste-Sprecher Michael Mauritz. Die angeblich gestiegenen Kosten sind für ihn zweifelhaft: "Durch Kostenberechnungen kann man jedes Projekt totrechnen. Da werden Zahlen in den Raum geworfen, ohne zu hinterfragen, was da genau hineingerechnet wird", gibt Mauritz zu bedenken.

 

 

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