Die WC-Problematik bei den SBB erreicht einen neuen Höhepunkt: Eine Passagierin musste sich in einem Zwischenabteil erleichtern, weil alle WCs im Eurocity gesperrt waren. Wie kann so etwas passieren?
Von Denise Jeitziner - Basler Zeitung
Im Zug von Zürich nach Bellinzona. Eine 62-jährige Schaffhauserin muss dringend aufs Klo. Bis zum Gotthard ist das Klo in ihrem Abteil ständig besetzt. Als sie es nicht mehr aushält, läuft sie durch mehrere Wägen. Doch alle WCs sind gesperrt. Die Frau bittet einen Kontrolleur, eine der geschlossenen Toiletten für sie zu öffnen. «Ich glaube nicht, dass Sie da noch hinein wollen», habe dieser mit Hinweis auf die verstopfte WC-Schüssel geantwortet. Die Frau gerät in Panik, läuft bis zum hintersten Wagen, wo sie sich nicht anders zu helfen weiss, als sich im Zwischenabteil zu erleichtern. «Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin und habe mich immer noch nicht von diesem Erlebnis erholt», sagte die Frau in der Sendung «Espresso» auf Radio DRS 1.
Jede Toilette kommt 140-mal zum Einsatz
Wie kann so etwas passieren? Offenbar haben die SBB es verpasst, die WCs im Pendolino zu leeren. Gemäss SBB-Sprecher Reto Kormann wird im Fernverkehr jede Toilette täglich rund 140-mal benutzt. Das führe dazu, dass sie zwischendurch voll sei. Die Folge: Die Toilette wird geschlossen. Für Passagiere ist es jedoch unverständlich, weshalb die Züge trotz vollen WC-Tanks weiterfahren. «Die automatischen WC-Anlagen haben eine relativ komplexe Technologie und können nicht an jedem Halteort eines Zuges geleert werden», gibt Reto Kormann zu bedenken.
In der Schweiz gibt es neun Standorte mit Abzugsanlagen, an denen die Toiletten-Tanks geleert werden können, sowie drei mobile Tanks in Chiasso, Zürich und St. Gallen. Die sogenannten Fäkalientanks müssen etwa alle drei Tage geleert werden. Das Prozedere sei relativ kompliziert, schliesslich könne die Brühe nicht an einem beliebigen Ort abgelassen werden, so Kormann. Dies ist in der Regel nur über Nacht möglich, wenn die Züge im Endbahnhof stehen. Bis dahin bleiben die verstopften WCs geschlossen, damit «die Ware nicht obenauf schwimmt».
Zwölfköpfige WC-Taskforce eingesetzt
Verstopfungen sind das eine, technische Defekte das andere. Bis 2018 werden auch die letzten Plumpsklos in den SBB-Zügen durch vollautomatische Toilettensysteme ersetzt sein. Diese Technologie sei sehr sensibel. Gemäss SBB sind die WCs im Fernverkehr zu 93 Prozent verfügbar, im Regionalverkehr zu 97 Prozent. Pannen kommen also immer wieder vor, Reklamationen wegen defekter WCs trudeln regelmässig bei der SBB-Zentrale ein.
Vergangenen Herbst wurde extra eine zwölfköpfige Toiletten-Taskforce eingesetzt, die bis auf Weiteres aktiv bleibt. «Unser Zugspersonal hat eine vierseitige Anweisung, was in Notfällen zu tun ist. Aber sie sind ganz klar keine Techniker», betont der SBB-Sprecher. Man muss also damit rechnen, wie die 62-jährige Schaffhauserin vor verschlossenen WC-Türen zu stehen. Was tun?
WC-Stopps in Fernverkehrszügen
«Sind die Toiletten verstopft, sollen sich die Passagiere sofort ans Zugspersonal wenden, damit diese die Zentrale informieren können», rät Reto Kormann. Die Chance, dass defekte Klos noch während der Fahrt repariert werden können, ist jedoch gering, grössere Reparaturen sind erst in Endbahnhöfen möglich. In Regionalzügen bleibt den Passagieren nichts anderes übrig, als sich das dringende Geschäft zu verkneifen. Mehr Glück winkt in Fernverkehrszügen. «Im Notfall ermöglichen wir einen ausserplanmässigen WC-Halt», so Kormann. So geschehen auf besagter Gotthardstrecke Anfang dieses Jahres. Weil bis auf eine Toilette alle verstopft waren, gab es in Bellinzona einen ausserordentlichen WC-Stopp.
Was sagen die SBB zum Fall der Schaffhauserin? «Das ist ein krasses Beispiel, das ganz klar inakzeptabel ist», ist sich Reto Kormann bewusst. Auch für die erbosten Kundenreaktionen wegen defekter WCs habe er Verständnis, schliesslich kenne auch er dieses Bedürfnis. «Wir möchten jedoch auch an die Passagiere appellieren. Oft müssen WCs auch geschlossen werden, weil sie von Kunden massiv verunreingt, mit festen Gegenständen verstopft oder schlicht demoliert werden.»