Eine Armada an Bau- und Langsamfahrstellen macht nicht nur den Fahrgästen zu schaffen, sondern kostet mehr Steuergeld als nötig.
Wien - Nun ist es gewissermaßen amtlich. So genannte Langsamfahrstellen sind nicht nur eine der Hauptursachen für Zugverspätungen, sondern die Leiden der Fahrgäste sind großteils auch noch
hausgemacht. Denn zuständig für Erhaltung und Betrieb des gut 5900 Gleiskilometer langen ÖBB-Kernnetzes ist der ÖBB-Teilkonzern ÖBB-Infrastruktur-AG.
Die Hauptkritik seitens der Prüfer des Rechnungshofs (RH): Es wurde von 2005 bis 2009 nicht zu wenig investiert ins Schienennetz, sodass die Züge über alterschwache Weichen, Stellwerke und Gleise nur im Schneckentempo schleichen durften, sondern nicht in die richtigen Maßnahmen bzw. zum Teil ohne Plan. Wo spät aber doch Erneuerungsmaßnahmen angegangen wurden - ein Fünftel der ÖBB-Schieneninfrastruktur hatte 19 Jahre technische Nutzungsdauer auf dem Buckel -, waren sie zwischen den mittlerweile wieder fusionierten Teilkonzernen Bau und Bahnbetrieb auch noch schlecht koordiniert. Und das alles, obwohl die Transportleistung der damaligen ÖBB-Cashcow Rail Cargo Austria von 1997 bis 2008 um 45 Prozent zugenommen hat.
395 Kilometer Schleichweg
Der Verspätungs- und Mangelwirtschafts-Cocktail im Detail: Die Zahl der anlagenbedingten Langsamfahrstellen stieg zwischen 2005 und April 2009 um 65 Prozent von 204 auf 336. Gemessen an den rund
2900 Kilometern hochrangigem Schienennetz (A-Netz) sind das 395 km Langsamfahrstellen. Durchschnittlich dauerte es laut RH zweieinhalb Jahre, bis eine Langsamfahrstelle beseitigt wurde. Das
bestreitet die ÖBB: Erstens hätten Langsamstellen im A-Netz im Schnitt nur je ein Jahr bestanden (nicht 2,5 bis drei) und zweitens sei den Instandhaltungsmaßnahmen im A-Netz ohnehin Priorität
eingeräumt worden.
Grafik: Der Standard - Quelle: ÖBB
Außerdem bedeute der vom RH ermittelte Durchschnittswert von 5,5 Prozent Langsamfahrstellen über alle Netze im Umkehrschluss, dass 94,45 Prozent des Streckennetzes frei von Langsamfahrstellen
seien. Das sei ein guter Wert. Denn eine Vollverfügbarkeit (99,9 Prozent) des Netzes würde unverhältnismäßig hohen Instandhaltungsaufwand nach sich ziehen, führt die ÖBB ins Treffen. Der RH
würdigt, dass im A-Netz im Schnitt pro Baustelle nur ein Jahr langsam gefahren werden musste. Langsamfahrstellen hätten sich im A-Netz wegen der hohen Bedeutung der Strecken aber besonders
nachteilig auf Netz- und Betriebsqualität ausgewirkt.
Laut Prognose des ÖBB-Betriebs verteilten sich 2009 insgesamt 1,57 Millionen Verspätungsminuten so: Bauarbeiten waren für 701.560 Verspätungsminuten verantwortlich, Anlagenstörungen für 445.628
Minuten und Langsamfahrstellen für 422.323. Im Schienen-Personennahverkehr war ein Fünftel der Verspätungen durch Langsamfahrstellen verursacht, 16 Prozent durch Anlagenstörungen und 26,06
Prozent durch Bauarbeiten. Insgesamt nahmen die Verspätungen der Personenverkehrszüge von 2006 bis 2008 um 29 Prozent von 575.000 auf 742.000 Minuten pro Jahr zu. In Tage umgerechnet stieg sie
von 400 auf 515.
Spät und teuer
Laut Rechnungshof hapert es in ÖBB-Bahnbau und -Erneuerung aber nicht nur bei Planung und Koordination, sondern auch beim Mitteleinsatz. Mangels zeitgerechter Investitionen habe sich die Substanz
der Schieneninfrastruktur im Prüfzeitraum 2006 bis 2008 verschlechtert, notwendige Instandhaltung (Weichen, Stellwerke, Schienen) erfolgten zu spät oder nicht im notwendigen Umfang. Am Geld lag
der Krampf übrigens nicht primär, denn es wurde jährlich gut eine Milliarde Euro für Erhaltung bereitgestellt und pro Jahr zwischen 1,375 bis 2,174 Mrd. Euro für Neubau. Letzteres erst seit
2008.
Suboptimal war offenbar die Verteilung. Denn das errechnete Optimum für Instandsetzung von 146,5 Mio. Euro und 560 Millionen bei Anlagenerneuerungen wurde erst 2009 mit dem Konjunkturpaket
Schiene erreicht. Nach der ÖBB-Reform 2004 - die RH-Präsident Josef Moser maßgeblich mitgestaltet hat - wurde (wie von Schwarz-Blau gewünscht), wohl das Neubaubudget aufgestockt, die
Instandsetzungsausgaben aber auf 125 Mio. Euro eingefroren; jene für Anlagenerneuerungen auf 333 Millionen - um die ÖBB zum Sparen zu zwingen. Diese Unterdotierung, attestiert der RH, habe
letztlich "zu steigenden Gesamtkosten und zu einer Verschlechterung der Betriebsqualität" geführt.
ÖBB: Jede fünfte Schiene ist reif für den Schrottplatz
Laut Rechnungshof investieren die ÖBB zu wenig in die Netz-Instandhaltung. Der Zustand des Schienennetzes hat sich zwischen 2005 und 2009 deutlich verschlechtert.
In der heimischen Bundesbahn wird nach Ansicht von Kritikern zu viel Energie auf politische Grabenkämpfe und das Aufräumen verschiedenster Skandale verwendet, anstatt sich um das Kerngeschäft zu
kümmern. Diese Kritiker dürften sich durch den jüngsten Rechnungshofbericht bestätigt fühlen. Denn aus dem geht hervor, dass sich der Zustand des Schienennetzes zwischen 2005 und 2009 deutlich
verschlechtert hat. Die Zahl der Streckenabschnitte, auf denen aus Sicherheitsgründen nicht mit voller Geschwindigkeit gefahren werden darf, hat sich in diesem Zeitraum um 65 Prozent auf 336
erhöht. Der Grund dafür ist laut Rechnungshof, dass die ÖBB zu wenig Geld in die Instandhaltung investieren und die internen Prozesse teilweise zu umständlich sind.
Mit 19 Prozent hat fast jeder fünfte Schienenkilometer des 7200 Kilometer langen Netzes seine „technische Nutzungsdauer bereits überschritten“, schreibt der Rechnungshof. Da sich zwischen 1997
und 2008 auch die Transportleistung der Bahn um 45 Prozent erhöhte, „entsprechen eine Reihe von Anlagen nicht mehr den gestiegenen Anforderungen.“ Diese müssen daher ausgetauscht werden oder
können nur noch mit reduzierter Geschwindigkeit befahren werden. Bei den ÖBB entschied man sich zuletzt immer häufiger für die zweite Variante. Waren 2005 noch 273 Kilometer sogenannte
„Langsamfahrstellen“, erhöhte sich diese Zahl bis zum Vorjahr auf 395 Kilometer – 5,5 Prozent des gesamten Netzes.
Das hatte naturgemäß auch starken Einfluss auf die Pünktlichkeit der Bahn. So stieg die Summe aller Verspätungen von 575.000 Minuten im Jahr 2005 bis 2008 auf 742.000 Minuten an. Darin sind zwar
auch Verspätungen wegen Bauarbeiten oder Störungen enthalten. Fast 40 Prozent aller Verspätungen hängen jedoch mit Strecken zusammen, die aus Sicherheitsgründen nicht mit voller Geschwindigkeit
befahren werden können. Den Eisenbahnverkehrsunternehmen (ÖBB-Töchter für Personen- und Güterverkehr sowie private Güterbahnen) entstand dadurch ein Schaden von rund 41 Mio. Euro pro Jahr.
„Ausreichende Mittel“
Bei den ÖBB rechtfertigt man sich damit, dass 70 Prozent des Schienennetzes noch aus der Zeit der Monarchie stammen würden und vor allem in den 80er- und 90er-Jahren zu wenig in die
Instandhaltung investiert worden sei. Zudem seien auch die vom Infrastrukturministerium zur Verfügung gestellten Mittel „unterhalb des errechneten Instandhaltungsoptimums“ gelegen.
Eine Argumentation, die der Rechnungshof nicht gelten lässt. Laut ihm hat die Bahn „ausreichend Mittel“ zur Verfügung gehabt. Pro Jahr erhält die Bahn etwa eine Mrd. Euro für den Betrieb des
Schienennetzes. Darüber hinaus gab es jährlich zwischen 1,4 Mrd. und 2,2 Mrd. Euro für den Bau neuer Streckenabschnitte. Allerdings seien Mittel aus dem Topf für den Erhalt des bestehenden Netzes
für Neubauten verwendet worden, kritisiert der Rechnungshof.
Zudem hätten „träge und mehrstufige Prozesse“ verhindert, dass „mehrere Anlagen trotz erkannter Notwendigkeit nicht zeitgerecht erneuert werden konnten“, heißt es im Rechnungshofbericht. Dies
führte dazu, dass betroffene Streckenabschnitte im Durchschnitt erst nach zweieinhalb Jahren repariert oder ersetzt wurden. Ein Drittel aller „Langsamfahrstellen“ bestand sogar länger als drei
Jahre. Der Rechnungshof fordert von den ÖBB daher eine „Straffung der Prozesse“. Laut der Bahn ist dies durch die jüngst erfolgte Zusammenlegung der beiden Infrastrukturgesellschaften bereits
geschehen.
ÖBB wollen in Bayern fahren
Auch angesichts der jüngsten Kritik am Schienenverkehr in Österreich wollen die ÖBB ihre Expansion im Ausland weiter vorantreiben. So bestätigte die Bahn einen Bericht des „Münchner Merkur“,
wonach sie sich um den Betrieb der Strecke zwischen München, Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck ab 2014 beworben hat. Man wolle bei der bevorstehenden Bahnliberalisierung „nicht untätig sein“.
Es wäre dies das erste Mal, dass sich die ÖBB in Deutschland engagieren. Es soll jedoch keine „Kampfansage“ an die Deutsche Bahn sein.
ÖBB bewerben sich um um bayerische Zugstrecke
Die Österreichischen Bundesbahnen wollen nach Bayern expandieren. Die ÖBB haben ein diesbezügliches Angebot gelegt. Über den Zuschlag wird im Herbst entschieden.
Die Österreichischen Bundesbahnen bewerben sich um den Zuschlag für die Strecke zwischen München, Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck. Die ÖBB haben am Mittwochabend einen Vorabbericht des
"Münchner Merkur" bestätigt. Es ist das erste Mal, dass sich die ÖBB in Deutschland engagieren wollen. Das Offert wurde Anfang April gelegt.
Die ÖBB "begrüßen die Liberalisierung" in Europa, die Schwung in den Bahnsektor bringen werde. "Wir sind dabei aber nicht in der Warteposition", erklärte Gabriele Lutter, Vorstandssprecherin der
ÖBB Personenverkehr AG in einer Stellungnahme zum Bieterprozess.
Die ÖBB wollen im Liberalisierungsprozess "nicht untätig sein" und sich für grenznahe Ausschreibungslose bewerben. Die ÖBB Personenverkehr AG nehme nun an der Ausschreibung des "Los Werdenfels"
in Bayern teil. Einen ersten Schritt habe die Bahn bereits mit der Übernahme der Brennerverkehre in Kooperation mit der Deutschen Bahn und der Italienischen Privatbahn Ferrovienord Milano
gesetzt, der nächste sei jetzt Werdenfels.
Kerngeschäft bleibt in Österreich
Das Geschäftsvolumen auf dem ausgeschriebenen bayerischen Los umfasst rund 4,1 Millionen Zugkilometer pro Jahr. Zum Vergleich: Insgesamt kommen die ÖBB auf rund hundert Millionen Zugkilometer pro
Jahr. Der Aufsichtsrat hat die Personenverkehr AG zuvor ermächtigt, das Offert abzugeben. Der absolute Focus liege aber weiter am Heimmarkt Österreich.
Stärkster Konkurrent der ÖBB sei die Deutsche Bahn Regio, die bisher auf der Strecke fährt, schreibt der Münchner Merkur weiter. Zudem bewerben sich der dpa zufolge die Konzerne Benex, hinter dem
die Hamburger Hochbahn stehe, sowie Veolia - das Unternehmen betreibt die Bayerische Oberlandbahn. Die Angebote seien bei der staatlichen Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) eingegangen. Nach
Ablauf der siebenmonatigen Bewerbungsfrist vergangene Woche wolle die BEG voraussichtlich im Herbst die Strecke vergeben. Betriebsbeginn soll Ende 2013 sein.
Moser zu Rechnungshof-Bericht zu ÖBB-Netz:
Fahrgäste haben für SP-MinisterInnen Nachrang
“Der Rechnungshof belegt mit seinem neuen Bericht zu den Langsamfahrstellen im ÖBB-Netz jahrelange Grüne Kritik an den VerkehrsministerInnen von FPÖ, BZÖ und nicht zuletzt SPÖ: Um Großprojekte nach Baulobby- und Landeskaiser-Wunsch durchzuziehen, wurde das Bahn-Bestandsnetz heruntergewirtschaftet. Die Zeche zahlen noch jahrelang die Fahrgäste, denen Bummelzüge, dauernde Unpünktlichkeit und verlorene Anschlüsse zugemutet werden, und das bei steigenden ÖBB-Tarifen. Die Verantwortung dafür kann die SPÖ mit Verkehrsministerin Bures aber nicht wegschieben, denn der RH-Bericht belegt, dass die Langsamfahrstellen nach SPÖ-Machtübernahme im Infrastrukturministerium noch jahrelang massiv zunahmen”, betont Gabriela Moser, Verkehrssprecherin der Grünen.
“Sehr bedauerlich ist, dass BM Bures und ihr Ministerium nicht nur diese Tatsache zu leugnen versuchen, sondern auch weiterhin die Auseinandersetzung mit der vom RH angesprochenen Kernfrage verweigern: Es stand laut RH in den prüfgegenständlichen Jahren - also auch unter den Ministern Faymann und Bures - ausreichend viel Steuergeld für das Schienennetz zur Verfügung, dennoch stieg die Zahl der Langsamfahrstellen und der unpünktlichen Züge. Es war also nicht zu wenig Geld da, sondern es wurden völlig falsche, kundenfeindliche Prioritäten bei der Mittelverwendung gesetzt. Dies muss Bures endlich ändern, nicht stur ableugnen. Der Beton muss aus den Köpfen. Statt unwirksamen Riesenprojekten a la Brennerbasistunnel muss die Schiene schnellstens für die Kunden hier und heute wieder funktionieren.”
Dass laut BMVIT bis 2014 die Sanierung im ‘Kernnetz’ der ÖBB abgeschlossen sein soll, ist keine Frohbotschaft, sondern eine gefährliche Drohung für sehr viele PendlerInnen, die nicht nur auf der West- oder Südbahn unterwegs sind. Moser: “Da die ÖBB mit ihrem Zielnetz-2025-Projekt ja zügig weite Teile des Netzes einstellen bzw. wie zuletzt in NÖ mit dem Ziel der Einstellung billig loswerden wollen, gehen diese heutigen Beschwichtigungsversuche des Bures-BMVIT völlig ins Leere. Dass nur im Kernnetz wenigstens 2015 wieder alles halbwegs laufen soll, ist für die Pendler im großen Rest Österreichs kein Trost. Bures muss diesem unerträglichen Rückzugs-Strategie der ÖBB dringend Einhalt gebieten, wenn sie nicht als Totengräberin des Schienenverkehrs in die Geschichte eingehen will.”