SBB will mit Lobbyisten bei Politikern für Gutwetter sorgen

Die SBB folgt dem Beispiel der Post und stellt Lobbyisten an. Was die Post kann, kann auch die SBB. Das Unternehmen forciert Einfluss in Bundesbern und stellt hierfür eigens Lobbyisten an. Er soll die Bundespolitiker hofieren.

 

Von Tobias Gafafer - Quelle: Aargauer Zeitung

Nicht nur Branchen wie die Pharmaindustrie oder die Krankenkassen spannen Politiker für ihre Interessen ein. Auch bundeseigene Unternehmen setzen immer mehr auf Lobbyisten. So folgen die SBB dem Beispiel der Post und schaffen im Sommer eine Abteilung «Public and Government Affairs» – und stellen eigens einen Lobbyisten für das Bundeshaus an. Die SBB versuchen ihre Interessen auf mehreren Ebenen offensiver einzubringen.

So sucht die Lobby der über 200 Bahn-, Bus- und Schiffunternehmungen, der Verband öffentlicher Verkehr (VÖV), derzeit den Nachfolger für den zurücktretenden Direktor Peter Vollmer. In der Findungskommission, die bis im September einen Kandidaten präsentieren muss, sitzt SBB-Chef Andreas Meyer persönlich.

Ihren Einfluss ausgebaut haben die SBB bereits beim Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (Litra). Dessen Leitung obliegt seit kurzem einem früheren SBB-Mann. Dass bundeseigene Unternehmen ihr Lobbying ausbauen, ist umstritten: SVP-Vertreter wie Caspar Baader oder der Präsident der Verkehrskommission des Nationalrats, Max Binder, haben gar den Litra-Vorstand verlassen, weil der Verband «zum verlängerten PR-Arm der SBB» werde. SBB-Sprecher Reto Kormann indes verweist auf anstehende Grossprojekte wie Bahn 2030, was gute Beziehungen ins Bundeshaus bedinge.

 

 

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Die Schar der Lobbyisten im Bundeshaus weibelt derzeit am eifrigsten in eigener Sache. Denn vielen Einflüsterern droht die Verbannung aus dem Tempel der Macht. Die Verhältnisse sind chaotisch geworden. Mit exklusiver Lobbyisten-Liste.

Während vier mal drei Wochen ist das Bundeshaus ein Taubenschlag. Steht eine Abstimmung an, fliegen die Räte an ihre Sitze im Saal; nach dem Entscheid schwirren sie wieder aus zu den Journalisten, Lobbyisten, Beratern, Funktionären, Beeinflussern, die in den Vorräumen auf sie einreden. Die Pharma ist da, die Migros auch, das Gewerbe, die Gewerkschaften, Umweltschützer, Pfarrer, Bauern, Transporteure und Fischer. Der Kampf um Meinungen und Stimmen wird intensiver von Jahr zu Jahr.

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Die billigste und effizienteste Methode, sich im Bundeshaus Stimme, Gehör und Einfluss zu sichern, ist noch immer die, sich einen Parlamentarier zu kaufen, ganz aktuell zum Beispiel den Berner Ständerat Werner Luginbühl oder den Zuger CVP-Ständerat Peter Bieri oder den Luzerner Ständerat Konrad Graber. Luginbühl wurde 2007 mit massiver Hilfe der SVP in die Kleine Kammer gewählt, wechselte 2008 zur BDP, glitt so rasch in politisch-wirtschaftliches Niemandsland ab und vertrat nur noch eine Fondation Johanna Dürmüller-Bol und eine Stiftung Schloss Oberhofen. Gerettet hat ihn die Berner Mobiliar-Versicherung, die Luginbühl im Februar mit einem 80-Prozent-Pensum als Leiter der Abteilung Public Affairs unter Vertrag nahm und ihn mit der «Beziehungspflege des Unternehmens zu Politik und Verbänden» betraute, also zu ihrem Chef-Lobbyisten machte. Seither spricht Luginbühl nicht mehr für die Partei, die ihn gewählt hat (SVP), und kaum mehr für den Kanton, dessen Sitz er hält, sondern, den schönen Lohn rechtfertigend, für «die Nummer 1 der Schweiz für Haushalt-, Betriebs- und Risiko-Lebens-Ver-sicherungen». In Luginbühls Karteikarte auf www.parlament.ch taucht die lukrative Anbindung (noch) nicht auf.

Peter Bieri war hauptamtlich Lehrer an der Zuger landwirtschaftlichen Schule Schluechthof mit der Spezialdomäne «Fütterung», als er in den Ständerat gewählt wurde. Nun ist der CVPler erster Lobbyist für die SBB und den öffentlichen Verkehr. In einer überfallartigen Aktion hat er Mitte Dezember den bisher seriösen Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (Litra), den er präsidiert, zu einem aggressiven PR-Instrument für die Bahnen und die Bahnbauer umfunktioniert. Für seine neue Rolle als Interessenvertreter lässt er sich jährlich mit 140 000 Franken schmieren; die Hälfte wird als Lohn deklariert, der Rest als übrige Aufwendungen, zum Beispiel für ein häusliches Büro und andere «Spesen». 120 000 Franken an diesen Lobbyisten-Job steuern die SBB und die Postauto AG bei, was zumindest dem Sinn der Unvereinbarkeitsregel (Parlamentarier dürfen sich nicht von Bundesbetrieben aushalten lassen) widerspricht. Die Parlamentsdienste tolerieren den kleinen Skandal. Das Bahngeld ist also gut angelegt: Bieri kann seine parteiliche Schienenpolitik als Präsident der Verkehrskommission in Bern ungeniert umsetzen.

Der Luzerner CVP-Mann Konrad Graber wird am 20. Mai zum Präsidenten des Verwaltungsrats der Emmi-Gruppe gewählt, des führenden Milchverarbeiters der Schweiz. Daneben findet der Wirtschaftsprüfer noch Zeit und Kraft, für die Luzerner Verkehrsbetriebe, die Krankenversicherer Intras und CSS und andere Aktiengesellschaften zu weibeln. So türmen sich bei den meisten Volks- und Standesvertretern die Aufträge, die einen sichtbar ausgewiesen im Register der Interessenbindungen, viele andere gelten aber als rein berufliche Mandate, die hinter dem Anwaltsgeheimnis versteckt bleiben. Die meisten Mandate laufen bei alten Hasen wie Rolf Schweiger (FDP, ZG) oder Bruno Frick (CVP, SZ) zusammen; aber auch Neulinge wie Doris Fiala (FDP, ZH) werden umgehend mit Verpflichtungen eingedeckt (Kunststoffverband). Mehrfach beobachtete Folge dieser Verzahnung ist, dass alle grossen Verbände und Branchen – von den Bauern über die Arbeitgeber bis zu den Gewerkschaften und NGOs – stets direkt und frühzeitig aus vertraulichen Kommissionssitzungen mit den relevanten Informationen versorgt werden.

Es regiert das Durcheinander
Neben Direktinterventionen haben die 246 Parlamentarier das Recht, je zwei Personen als «Götti» oder als «Gotte» oder als persönliche Gäste zu bezeichnen. Diese «Patenkinder» geniessen während der Sessionen freien Zugang zum Bundeshaus und können jederzeit mit jedem Abgeordneten Kontakt aufnehmen. Derzeit sind 365 solcher Freikarten im Umlauf. Die Analyse der (nur unter Aufsicht) einsehbaren, aber nicht offiziell publizierten Lobbyisten-Liste — die aktuelle Übersicht ist exklusiv unter weltwoche.ch/wandelhalle abrufbar — zeigt, dass immerhin 35 Deputierte keine Freipässe verteilen. Während Linke und Grüne ihr Kontingent fast vollständig ausschöpfen, verzichten 12 SVPler, 8 CVPler und 7 FDPler auf ständige Besucher. Rund 60 Inhaber eines Bundeshaus-GA sind Familienmitglieder oder (mit 30 000 Steuerfranken entlöhnte) persönliche Mitarbeiter. Die restlichen 300 agieren als Lobbyisten, Verbands- und Firmenvertreter, Parteileute oder Seelsorger (6 an der Zahl). Zahlreich vertreten sind das Gewerbe mit fast 30 Zutrittsausweisen, Arbeitgeber und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse (rund 20), die Gewerkschaften (rund 20), die Umweltschützer (26), andere NGOs von Amnesty International bis Stop Suicide (35) und die Bauernfunktionäre (11). Stattliche Abordnungen stellen weiter die Banken und Versicherungen (12), Kantone, Städte und Gemeinden (10), der Gesundheitssektor (18) und die Verkehrs- und Telekombranche (15). Auch die Gastronomie ist präsent.

Über 50 dieser ständigen Trabanten der Parlamentarier sind PR- und/oder Kommunikationsberater, die diskret Aufträge ausführen oder aber solche suchen, im Fachjargon «New Business» genannt. Sie sind, wie die Branche feststellt, privilegiert, denn der ungehinderte Zugang zum Zentrum der Macht gilt als grosser Wettbewerbsvorteil. Die offene Tür zur Wandelhalle und zu anderen Vorzimmern wird darum zum Politikum. In einer vertraulichen Aktion bereitet die Schweizerische Public-Affairs-Gesellschaft (SPAG), die gegen 200 Mitglieder vertritt, die offizielle «Akkreditierung von Lobbyisten im Bundeshaus» vor. Der Vorstoss der Branche zielt auf die Aufwertung und Anerkennung des noch immer mit viel Argwohn bedachten Berufs des Bearbeiters und Argumentelieferanten, aber auch auf Chancengleichheit und Transparenz. Der Kampf um die Brotkörbe wird intensiver.

Tatsächlich regiert das Durcheinander. Nicht nur gewählte Abgeordnete und deren bevorzugte Gäste bemühen sich, den Gang der Beratungen und Entscheidungsprozesse in die gewünschte Richtung zu lenken. Auch ehemalige Parlamentarier haben einen lebenslang gültigen Freipass in den Tempel der Macht. Und viele nutzen dieses Vorrecht nicht nur zur nostalgischen Pflege alter Bekanntschaften, sondern zur gezielten Intervention. So tauchen regelmässig Leute mit wichtigen Mandaten auf: Gerold Bührer (FDP, SH) etwa, heute Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, oder Regina Ammann, 1999 ein knappes Jahr für den Landesring im Rat, heute Leiterin des Berner Büros von Economiesuisse, oder Paul Kurrus, 2003 als Baselbieter FDP-Nationalrat abgewählt, aber noch immer unterwegs für die Interessen der Aviatik. Auch dem routinierten Betrachter bleibt da oft verborgen, wer in welcher Sache durch die Gänge huscht.

Nicht unwesentlich zur Unübersichtlichkeit trägt die Gruppe der Scheinjournalisten bei. Wer den ehemaligen Bundeshausredaktor des Tages-Anzeigers Bruno Vanoni als «Lobbyisten» begrüsst, weil er seit gut einem Jahr die (jeweils 50 Millionen Franken teuren) Anliegen des Fonds Landschaft Schweiz (FLS) vertritt, wird korrigiert: «Ich bin Journalist!» In der Tat verfügt dieser Lobbyist nicht nur über einen Journalisten-Badge, sondern überdies über ein exklusives Fach im Medienhaus. Diese Sonderbehandlung teilt er mit mehreren Interessenvertretern, die für Verbände oder Firmen arbeiten und längst nicht mehr als unabhängige Medienleute für Zeitungen, Radios und TV-Stationen berichten. Parteien, Economiesuisse, Gewerbeverband, Gewerkschaften, Bauernverband, Pressure-Groups für den öffentlichen Verkehr oder für die Elektrizitätswirtschaft und andere: Sie alle beschäftigen Lobbyisten, die als akkreditierte Journalisten getarnt sind.

Seit eineinhalb Jahren widerspricht diese schlampige Praxis der Verordnung über die Zulassung von (hauptberuflichen) Medienleuten «zum Zweck der Information» zum Parlamentsgebäude. Dort heisst es eindeutig: «Nicht als journalistische Tätigkeiten gelten Verbandsarbeit, PR- und Werbetätigkeiten.» Auf Ende März will die Bundeskanzlei – auf Druck des Bundesrats, wie kolportiert wird – diesem Passus Nachachtung verschaffen und den Pseudojournalisten, deren Zahl auf 150 bis 200 geschätzt wird, die bisherige Akkreditierung entziehen. Laute Proteste und Rekurse sind programmiert – und zum Teil verständlich. Denn als Alternative verbleibt allein der Run auf die letzten der 127 «Götti»-Pässe.

Was der Lobbyist soll und darf im Bundeshaus, bleibt auch nach dieser Säuberung unklar. Die Forderung der SPAG nach freiem Zugang für alle Berufslobbyisten weckt, bevor sie überhaupt lanciert ist, Abwehrreflexe. So schreiben die Berufsbeeinflusser in einer vorbereiteten und bereits fixfertig formulierten parlamentarischen Initiative: «Die Bedeutung verantwortungsvollen, professionellen Lobbyings im Bundeshaus hat zugenommen. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind bei komplexen Sachfragen auf externen Rat und Sachverstand angewiesen.» Genau gegen diese Tatsache kämpfen ebendiese Räte an. Die hochoffizielle Zulassung der PR- Zunft könnte den Eindruck verstärken, dass das Parlament als Marionette von Strippenziehern agiert. Das zweite Motiv ist pekuniär und handfester: Jeder Lobbyist von aussen ist ein Konkurrent für die vielen Lobbyisten in den Ratssälen.

Und so suchen die externen Lobbyisten noch immer einen internen Lobbyisten, der die Initiative für den freien Zutritt ins Bundeshaus als «seinen eigenen» Antrag einreicht.