Das dritte Leben der Viaduktbögen im Zürcher Kreis 5

In Zürichs längstem Einkaufszentrum haben am vergangenen Donnerstag

1. April 2010 die ersten Läden eröffnet. Und dies ist nicht etwa ein Aprilscherz!

Der Eisenbahnviadukt im Kreis 5 mit Läden, Ateliers und Restaurants soll zum urbanen Treffpunkt werden.                                                                            Foto: Marcel Manhart

 

Die Nummer 14 war der Musterbogen, und als Jeremy Weyenet das erste Mal darin stand, habe er nur gedacht: «Wow!». Nun steht Weyenet wieder in einem Bogen. Jetzt ist er Jungunternehmer und sagt: Er habe Glück gehabt.

                                                                                                           Foto: Marcel Manhart

Von Hunderten von Bewerbern ist Weyenet einer von 64, die zum Handkuss kamen. Billabong heisst sein Geschäft, das 1973 in Australien mit Surfer-Shorts begann, sich in den Casual-Bereich vorarbeitete und nun erstmals in der Schweiz vertreten ist. In den Viaduktbögen im Kreis 5, welche die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen (PWG) für 35 Millionen Franken zu einer 500 Meter langen Shoppingmeile moduliert hat.

Schrittmacher für den Puls 5?

Alte Mauern, modernes Design, Shopping und Kreis 5 – der Puls 5 kommt einem in den Sinn. Der Einkaufskomplex um die alte Giessereihalle, der einfach nicht richtig auf Touren kommen will. Die Fragen stellen sich: Wird der Herzschlag in den Viaduktbögen ähnlich tief getaktet sein? Oder nehmen die Bögen das Tempo der geschäftigen Josef- und Langstrasse auf und werden so zum Schrittmacher für eine Gegend, die konsumtechnisch vor allem noch immer von der Nacht lebt?

Für Letzteres spricht die sorgfältige Auswahl der Mieter: Die Läden wirken, so unterschiedlich sie sind, homogen. Gleichzeitig werden die Restaurants und die Markthalle, die im September eröffnet, die Passage auch für ein breiteres Publikum attraktiv machen. Dafür spricht auch, dass viele Zürcher die Bögen noch kennen, als sie Heimat alternativer Klubs und Restaurants waren. Dagegen spricht, dass sich der Passantenstrom doch ausdünnt, kaum verlässt man den Limmatplatz. Für Antworten ist es aber noch zu früh. Die Zeit wirds zeigen, der erste Kebab-Stand, der in einen Bogen einzieht – oder eben nicht.

Er habe Glück gehabt, sagt Jeremy Weyenet. Rund um die Bahnhofstrasse und im Niederdorf habe er gesucht und nichts Zahlbares gefunden. Jetzt steht er an der Kasse und bedient ein Grosselternpaar, das extra aus dem Zürcher Oberland angereist ist, weil sie aus Australien kennen, was ihr Enkel liebt.

                                                                                                         Foto: Marcel Manhart

 

Mieter mit lokaler Verankerung

Kein Glück brauchten Sandrine Voegelin und Walter Reinhard. Denn die PWG hatte die Betreiber des Modelabels Erfolg direkt angefragt. Weil sie das verkörpern, was die Stiftung suchte: Statt globaler Ketten Mieter, die lokal verankert sind. Voegelin und Reinhard haben an der Josefstrasse begonnen, zogen dann, weil der Laden zu klein wurde, an die Löwenstrasse um – und sagten Nein. Bis die PWG die Schweizer Turnschuhmarke Künzli als Zweitmieter des Bogens 21 akzeptierte. «Ein toller Einkaufsort!», schwärmt Künzli-Inhaberin Barbara Artmann. Die Frage sei nur, ob das die Viaduktbögen vom Stand weg sind oder erst mittelfristig sein werden, sagt die Schweizer Unternehmerin des letzten Jahres.

 

Ganz entspannt sieht das Beat Ettlin. Seine Geschichte ist insofern bemerkenswert, weil er für seinen Bogen 27 ein erfolgreiches Geschäft in Aarau verkaufte. Er hätte, wie das üblicherweise gemacht wird, eine Zürcher Perlavia-Filiale eröffnen können. Doch der persönliche Kontakt sei ihm dafür zu wichtig, sagt Ettlin, der in Zürich im Grunde gar kein Lokal suchte, im Viadukt aber eines fand. Outdoor-Equipment verkauft er, etwa Kleider der Marke Arcteryx, Spleeniges wie Chop-Sticks aus Titan und, als Einziger in der Schweiz, Feathercraft-Faltboote aus Vancouver. Von Sizilien bis Hamburg kommen Kunden. Und fanden sie bisher den Weg nach Aarau, dürften sie es auch bis in den Kreis 5 schaffen. Dorthin, wo alte Eisenbahnbrückenpfeiler nach jahrelanger Zwischennutzung durch Pioniere aus der Subkultur nun zu einem dritten Leben erwachen.

 

 

Das sind die neuen Mieter im Viadukt

Bereits vor Baubeginn haben sich zahlreiche Beizer und Lebensmittelhändler für das Wipkingerviadukt entschieden. Jetzt haben sechs neue Mieter einen Vertrag unterzeichnet.

                                                                                                           Foto: Marcel Manhart

Wer im Wipkingerviadukt einen Laden eröffnen will, muss zuerst den Ansprüchen der Bauherrin PWG genügen. Und die sind hoch. «Alle Mieter, die bisher einen Mietvertrag erhalten haben, sind handverlesen», sagt Daniel Bollhalder von der PWG. «Wir suchen eine spannende Mischung von Mietern mit einem qualitativ hochwertigen Angebot.» Die Bewerber werden auf Herz und Nieren geprüft und zu mehreren Gesprächen eingeladen. Schliesslich wird ein Gremium aus bestehenden Mietern in die Auswahl einbezogen.

Bis zu 50 Marktständen werden Produkte aus der Region und dem nahen

Ausland verkaufen                                                     Foto: Marcel Manhart

 

Florist mit Geschichte und junges Kleiderlabel

Einer der traditionsreichsten Floristen Zürichs wird im Wipkingerviadukt seine sechste Zürcher Filiale eröffnen. Das Blumengeschäft Marsano wurde vor genau 90 Jahren von Guiseppe Marsano gegründet und betreibt heute Geschäfte in den beiden Globus-Einkaufszentren, im Sihlcity, am Paradeplatz und an der Förrlibuckstrasse.

 

Ausserdem eröffnet das Fashion-Label Goyagoya den ersten Laden in der Schweiz. Die Basler Designerin Elena Zenero gründete das Label vor 10 Jahren. Sie verkauft ihre Mode weltweit und betreibt bereits die beiden Läden «Goyagoya» und «Freud» in Frankfurt. Auch der Multilabel-Store Grand, der bisher am Escher-Wyss-Platz zu Hause ist, wird ins Wipkingerviadukt umziehen. Grand gehörte zu den ersten Boutiquen in Zürich-West und verkauft Sneekers und Street Ware.

 

Dekogegenstände und Tanzschule

Doch das Wipkingerviadukt wird keine reine Verkaufsfläche, dort wird auch produziert und geschwitzt. Letzteres dürften die Kunden der Tangoschule El Social tun, die bisher an der Hohlstrasse 452 domiziliert ist. Zu den Produktionsstätten gehört der Bogen des Schweizer Kleiderladens Companys. Die Kette mit Filialen in sechs Schweizer Städten wird im Wipkingerviadukt nicht nur einen Outlet eröffnen, sondern auch Dekoartikel für die Companys-Läden hergestellen. Gegenstände, die nicht mehr benötigt werden, gibt es dort auch zu kaufen. Schliesslich wird die neu gegründete Firma Spannungsbogen Elektroroller verkaufen und reparieren.

 

Die Bauherrin sei von Interessenten regelrecht überrannt worden. «Nach einer kurzen Durststrecke im Winter laufen seit Anfang Jahr die Drähte heiss. Wenn das so weitergeht, dann ist in wenigen Wochen alles vermietet», sagt Bollhalder. Gegenwärtig seien mindestens fünf Mietverträge kurz vor dem Abschluss, knapp zehn Ladenlokale seien noch verfügbar.