Die Schweiz braucht in Zukunft mehr denn je eine leistungsfähige, moderne Bahn. Das vom Parlament in Auftrag gegebene Projekt Bahn 2030 schafft die Voraussetzungen dafür. Das BAV erarbeitet zusammen mit der SBB zwei Varianten mit Investitionsvolumen von 21 bzw. 12 Milliarden Franken. Projektschwerpunkte darin sind zusätzliche Züge auf der stark ausgelasteten Ost-West-Achse sowie, in der Variante für 21 Milliarden Franken, Verbesserungen für den regionalen öffentlichen Verkehr in Agglomerationen und im ländlichen Raum. Für den Güterverkehr sind nebst anderen Massnahmen auf der Nord-Süd-Achse die notwendigen Anpassungen vorgesehen, um auch die zunehmend grossprofilige Fracht auf der Schiene befördern zu können.
Am 22. und 23. März haben das Bundesamt für Verkehr (BAV) und die SBB Kantone und Medien über den Stand der Arbeiten zu Bahn 2030 orientiert. Die Vernehmlassung wird nach Fertigstellung der
Vorlage voraussichtlich im Frühjahr 2011 eröffnet.
Das Projekt wurde vom Parlament in Auftrag gegeben, um bestehende und künftige Engpässe mit einer zeitgemässen Bahninfrastruktur zu beseitigen. Der Bundesrat hat seinerseits im Dezember 2008 die
Eckwerte der Planung und Finanzierung gesetzt: Er beauftragte das BAV mit der Ausarbeitung zweier Varianten für 21 bzw. 12 Milliarden Franken. Die Finanzierung soll über den FinöV-Fonds
erfolgen.
Bahn 2030 ist der Schlüssel, um der wachsenden Nachfrage im Bahnbereich gerechtzu werden. Mit der Beseitigung von Engpässen und punktuellen Ausbauten wird ein entscheidender Faktor der Schweizer
Standortattraktivität gesichert, nämlich das dichte und gut funktionierende Angebot des öffentlichen Verkehrs.
Mehr Kapazität und ein stabiler Bahnbetrieb
Aufgrund detaillierter Analysen der Nachfrage, der daraus abgeleiteten notwendigen Verkehrsangebote und einer Priorisierung bringt Bahn 2030 mehr Kapazität in den täglichen Spitzenstunden auf
stark belasteten Strecken insbesondere zwischen den Zentren sowie (in der 21-Milliarden-Variante) im Regionalverkehr.
Dies bedeutet zum Beispiel mehr Sitzplätze entlang des Genfersees zwischen Genf, Lausanne und dem Unterwallis oder auch zwischen Bern, Zürich und Winterthur. Mehr Züge erhalten etwa die
Agglomerationen von Bern, Basel und Zürich.
Dazu sind Investitionen für den Einsatz längerer Züge, für Doppelstock- oder allenfalls zusätzliche Züge erforderlich. Beispiele von Massnahmen erster Priorität sind umfassende Ausbauten in den
Bahnhöfen Lausanne und Genf, die Erhöhung von Tunnel- und Streckenprofilen im Wallis oder auch der Ausbau stark belasteter Strecken wie zum Beispiel den durchgehenden Ausbau auf vier Spuren der
bestehenden Strecke Zürich–Winterthur.
Damit der Bahnbetrieb mit der wachsenden Nachfrage Schritt halten kann, sind Investitionen in Bahnhöfe und Betriebsanlagen unerlässlich: vielerorts müssen die Zugänge zu den Zügen vergrössert,
die Energieversorgung und andere Betriebsanlagen angepasst werden. Für den Güterverkehr sind Massnahmen am Jura-Südfuss (Ligerz-Tunnel) und zwischen Basel und Zürich vorgesehen. Geplant ist
überdies im Nord-Süd-Korridor die Erhöhung von Tunnelhöhen und -weiten (21-Milliarden-Variante). Damit könnten wie bereits auf der Lötschberg-Achse auch auf der Gotthard-Achse Züge mit
grossvolumigen Behältern verkehren, denen aus Sicht der Verkehrsverlagerung hohe Bedeutung zukommt.
Nach heutigem Stand der Planung Bahn 2030 sind die vom Parlament im ZEB-Gesetz sowie die von Kantonen und Verkehrsunternehmen diskutierten Massnahmen und Projekte in Vorhaben erster bzw. zweiter
Priorität unterteilt. Die Massnahmen zweiter Priorität müssen noch weiter untersucht werden, die entsprechenden Arbeiten laufen noch.
Finanzierung über FinöV-Fonds
Die Knacknuss der Vorlage Bahn 2030 wird die Finanzierung sein. Das Parlament hat beschlossen, die Investitionen von Bahn 2030 aus dem FinöV-Fonds zu finanzieren. Dies setzt voraus, dass der
FinöV-Fonds über die bisher vorgesehene Laufzeit hinaus verlängert wird. Zudem sollen für Bahn 2030 zusätzliche, zeitlich befristete Finanzquellen bestimmt werden.
Geprüft werden unter anderem eine Abgabe auf die Fahrausweise des öffentlichen Verkehrs sowie eine Umwidmung desjenigen Anteils der Schwerverkehrsabgabe LSVA, der den Kantonen zugute kommt. Die
Kantone und die Medien wurden über den Stand der Abklärungen zu diesen und weiteren möglichen Finanzierungsquellen wie z.B. einer befristeten MWST-Erhöhung, informiert.
Priorität haben Westschweiz und Grossraum Zürich
Mehr Sitzplätze, mehr Züge und mehr Platz in den Bahnhöfen: Diese Zielsetzungen wollen SBB und Bundesamt für Verkehr bei der Planung der Bahn 2030 verfolgen. Graubünden geht vorerst leer aus.
Es brauche nicht nur neue Tunnels und neue Schienen, sagte Max Friedli, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), gestern anlässlich einer Präsentation zum Stand der Arbeiten bei der Planung von Bahn 2030 in Bern. SBB und BAV arbeiten dazu für den Bundesrat zwei Varianten im Wert von 21 respektive 12 Milliarden Franken aus. Es gehe darum, die Leistungsfähigkeit des Netzes zu steigern, in dem es ergänzt werde. Dazu brauche die Bahn mehr Energie für den Betrieb, zusätzliche Rangiergleise für den Güterverkehr sowie längere Perrons in den Bahnhöfen für den Personenverkehr.
Prioritäre West-Ost-Achse
Für die Finanzierung erwägt der Bundesrat insbesondere höhere Billettpreise – Friedli spricht von einem Zuschlag von fünf bis zehn Prozent – sowie die Umleitung der LSVA-Kantonsanteile.
Oberste Priorität geniesst bei SBB und BAV die West-Ost-Achse. So soll die Fahrzeit Zürich- St. Gallen sowie Lausanne-Bern dank Infrastrukturausbau auf unter eine Stunde gedrückt und die
Platzkapazitäten dank 400 Meter langen Doppelstockzügen deutlich erhöht werden.
In Spitzenstunden sollen die Kapazitäten auf gewissen Teilstrecken rund um Zürich oder zwischen Genf und Lausanne um 4000 Plätze steigen. Stellt die Politik den Planern 21 Milliarden zur Verfügung, würden sie zudem auf den Zulaufstrecken zu den Agglomerationen die Voraussetzungen für zusätzliche Züge und höhere Züge und damit für mehr Sitzplätze schaffen. All diese Projekte würden wegfallen, sollten sich Bundesrat und Parlament gegen die 21-Milliarden-Variante aussprechen. Nicht realisiert würden damit insbesondere die zahlreichen Massnahmen im Regional- und Agglomerationsverkehr.
So oder so nur zweite Priorität geniessen bei den Planern die Infrastrukturprojekte zur Enpgassbeseitigung in der Südostschweiz. Gregor Saladin, Mediensprecher des BAV, räumte gegenüber dem BT ein, dass auf den SBB-Strecken in Richtung Chur keine Vorhaben berücksichtigt wurden: «Wir mussten uns auf Regionen konzentrieren, in denen per 2030 grosse Engpässe prognostiziert werden.» Graubünden gehe aber keineswegs leer aus. Zum einen würden von Grossprojekten alle Regionen indirekt irgendwie profitieren. Zum andern werde ja für Vorhaben der Privatbahnen bis zu eine Milliarde Franken bereitgestellt, da komme voraussichtlich auch die RhB zum Zug.
Albulatunnel: noch unklar
Offen zeigte sich Saladin gegenüber der Forderung aus Graubünden, den Halbstundentakt nach Chur schon in der ersten Phase zu ermöglichen. Jetzt werde das Dossier auf Fachebene mit jedem Kanton diskutiert, da seien Korrekturen durchaus noch denkbar, wenn es sich nicht um riesige Brocken handle. Nach wie vor unklar ist, wie die Sanierung des Albulatunnels finanziert werden soll: «Das ist noch völlig offen», sagte dazu Saladin. Dieses aufwendige Vorhaben bildete kei- nen Bestandteil des vom Parlament in Auftrag gegebenen Projekts Bahn 2030.
Kantone fordern Halbstundentakt in der Südostschweiz
Einen Halbstundentakt in der Südostschweiz ist aufgrund von Engpässen im Schienennetz zwischen Buchs (SG) und Sargans, am Walensee (Mühlehorn - Tiefenwinkel) sowie am oberen Zürichsee nicht möglich, heisst es bei den SBB. Dagegen wehren sich die betroffenen Kantone Graubünden und St. Gallen.
Der Bund zeigt an der heutigen Medienorientierung die Engpässe im Schienennetz zwischen Buchs und Sargans, an Walensee und Obersee auf. Sie verhindern den Halbstundentakt in der Südostschweiz. Dessen Einführung hat für Bund und SBB, anders als die Engpässe zwischen Zürich und St. Margrethen, aber nur zweite Priorität. Die betroffenen Kantone fordern im Hinblick auf die Vernehmlassungsvorlage eine Priorisierung beider Achsen im Dreieck Zürich–St. Gallen–Sargans und einen Halbstundentakt in der ganzen Ostschweiz.Das schreiben die beiden Kanton in einer gemeinsamen Mitteilung.
Südostschweiz als einzige Region im Abseits
Die Engpässe im Schienennetz beschränken sich nicht auf das Dreieck Zürich–Basel–Bern und entlang des Genfersees. Eine leistungsfähige und moderne Bahn 2030 muss alle Landesteile und das angrenzende Ausland im Halbstundentakt erschliessen. Die Südostschweiz ist die einzige Grossregion, die nur stündlich an den Metropolitanraum Zürich angebunden ist.
Die Einführung des Intercity-Stundentakts Zürich–Sargans–Chur vor fünf Jahren hat zu über 30 Prozent Verkehrszunahme geführt. Die Einführung des Halbstundentakts mit Anbindung in Sargans an das St.Galler Rheintal und die S-Bahnnetze in Liechtenstein und Vorarlberg sowie in Landquart und Chur an die Rhätische Bahn haben erste Priorität.
Graubünden und St. Gallen verlangen Priorisierung
Für die Engpässe im Schienennetz der Südostschweiz massgeblich verantwortlich ist der starke und zunehmende Güter- und Fernverkehr mit Österreich und Süddeutschland sowie der hohe Anteil an eingleisigen Streckenabschnitten. Schon heute werden wegen Engpässen Regionalverkehre von der Schiene auf die Strasse verdrängt und bestehende Halbstundentakte zum Stundentakt abgebaut. Die Einführung von Halbstundentakten ist nur mit Doppelspurausbauten und Überholmöglichkeiten für den Güterverkehr möglich.
Die Südostschweiz investiert zusammen mit den ausländischen Nachbarn in den Ausbau der S-Bahnnetze. Sie erwartet, dass Bund und SBB die gegenseitigen Behinderungen von Fern-, Güter- und Regionalverkehr, die den Halbstundentakt verhindern, mit hoher Priorität beseitigen. Neben den weiteren Ausbauten auf dem Ost-West-Rückgrat (Genf-)Zürich-St.Margrethen(–München) muss auch die wichtige internationale Ost-West-Achse Basel–Sargans–Chur/Buchs(–Österreich) deutlich gestärkt werden.
Nicht noch einmal 20 Jahre warten
Der Halbstundentakt auf der Intercity-Verbindung Zürich–Sargans–Chur ist unerlässlich für eine attraktive und der steigenden Nachfrage entsprechende Anbindung der Südostschweiz, sind die Regierungen der betroffenen Kantone überzeugt.
Die erforderlichen Investitionen belaufen sich auf kaum einen Dreissigstel der Basisvariante des Bundes und weisen ein gutes Kosten/Nutzen-Verhältnis auf, heisst es in der Mitteilung weiter. Die halbstündliche Erschliessung aller Landesteile könne nicht nochmals 20 Jahre warten und müsse in der nationalen Infrastrukturplanung priorisiert werden.
UPDATE vom 09. Mai 2010: