Die Branche des öffentlichen Verkehrs plant, auf 2015 die elektronische ÖV-Karte einzuführen und damit den Zugang zum öffentlichen Verkehr weiter zu vereinfachen. In einem ersten Schritt wird die ÖV-Karte für Kundinnen und Kunden von General- und Halbtax-Abo eingeführt, sie steht auch für Abos von Verkehrsverbünden offen. Nutzung und Einsatz der Abonnemente verändern sich nicht. Gleichzeitig startet die Branche eine breit angelegte Anhörung zu neuen, besser auf die Bedürfnisse der Reisenden zugeschnittenen Fahrausweisen.
Möglich wären Bahn- und Skiticket auf einer einzigen ÖV-Karte Foto: Marcel Manhart
Der einfache Zugang zum System und die Zuverlässigkeit zählen zu den grössten Stärken des öffentlichen Verkehrs der Schweiz. Um diese Errungenschaften auch für die Zukunft zu sichern, hat sich die öV-Branche für einen Modernisierungsschritt entschieden: Voraussichtlich per 2015 werden zunächst General- und Halbtax-Abonnemente mit der öV-Karte ausgestattet. Damit erreicht der öffentliche Verkehr bereits bei der Einführung der Karte knapp 3 Millionen Kundinnen und Kunden. An Einsatz und Nutzung der Fahrausweise ändert sich nichts.
Die öV-Karte ist technisch und gesamthaft für die öV-Branche wirtschaftlich umsetzbar und setzt auf die bewährte RFID-Technik, eine technische Lösung, die weltweit erprobt und in der Schweiz beispielsweise in Skigebieten bereits heute erfolgreich im Einsatz ist. Der eingesetzte Chip funktioniert als Identifikation der Reisenden (Name, Vorname auf der Karte). Die Fahrausweise wie GA, Halbtax-Abo, Verbund-Abos oder der Zugang zu Drittangeboten sind auf dem Gerät des Kontrollpersonals ersichtlich, sobald eine Kundin oder ein Kunde den Chip an das Gerät hält.
Die öV-Karte schafft eine Plattform, auf der schrittweise verschiedene Fahrausweise und ergänzende Angebote im Bereich Mobilität integriert werden können. Der Chip der öV-Karte wird in eine herkömmliche Plastikkarte integriert. Auf der öV-Karte werden lediglich die Personalien der reisenden Person gespeichert. Diese werden verschlüsselt und entsprechen den Anforderungen des schweizerischen Datenschutzes. Das Kontrollpersonal prüft den Chip mit einem Kontrollgerät. Über dieses sind Art und Gültigkeit des Fahrausweises ersichtlich.
Es ist geplant, den Kundinnen und Kunden mit der öV-Karte zusätzliche Angebote zur Verfügung zu stellen, die auf Reisen mit dem öV nützlich sind. Auf Basis von Kundenbefragungen ist dabei die Integration von Angeboten im Bereich der kombinierten Mobilität wie Velo- und Automiete oder Gastro-Angebote der Speisewagen und Minibars vorstellbar. Ziel ist es, möglichst viele Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden im Bereich der Mobilität abdecken zu können und damit die Angebote des öffentlichen Verkehrs auch in Zukunft möglichst einfach, zuverlässig und übersichtlich anzubieten.
Anhörung zur Weiterentwicklung des öV-Sortimentes
Der öffentliche Verkehr der Schweiz steht für hohe Qualität. Auch deshalb nimmt die Nachfrage weiter zu, was dazu führt, dass das öV-Angebot weiter ausgebaut und entsprechend finanziert werden muss. Alle Beteiligten, also Bund, Kantone, Transportunternehmen und Kunden sind in dieser Beziehung gefordert.
Die öV-Branche will auch in Zukunft allen Reisenden attraktive Produkte anbieten, die auf ihr spezifisches Fahrverhalten zugeschnitten sind und ihren Bedürfnissen entsprechen.
Die wichtigsten Grundprinzipien des öffentlichen Verkehrs bleiben bestehen, die hohe Qualität des öV Schweiz muss unter allen Umständen erhalten bleiben. Das heisst:
- offenes System (ein Fahrausweis ist nicht nur für ein bestimmtes öV-Transportmittel, sondern innerhalb eines Tages für die gewählte Strecke gültig)
- keine Reservationspflicht
- die Hauptpfeiler des Sortiments (namentlich: GA und Halbtax-Abo, Verbund-Abos, Tageskarten und Normaltarif) bleiben unangetastet.
Die wichtigsten vorgeschlagenen Neuerungen, die jetzt in eine breite Vernehmlassung gehen, sind dabei:
Abonnemente
Bisher gibt es zwischen dem beliebten General-Abo und den verschiedenen Verbund-Abos kein Produkt. Ziel ist, diese Angebotslücke mit einem neuen, attraktiven Abo zu schliessen. Geprüft werden diese neuen Angebote:
- Strecken-Abo kombiniert mit Verbund-Zonen
- Verbund-Abo kombiniert mit Tageskarten
- Gleis 7: Ausdehnung des Geltungsbereichs und Wochenendoption in Prüfung
Einzelbillette
Das „normale“ Einzelbillett, das auf allen Zügen gültig ist, wird es auch in Zukunft weiterhin geben. Ziel ist es jedoch, preislich tiefere Einstiegshürden für Gelegenheitsfahrer zu schaffen und gleichzeitig den öV in den Nebenverkehrszeiten besser auszulasten. Gleichzeitig bilden saisonal angepasste Preise bei touristischen Transportunternehmen die Nachfrageschwankungen ab. Zur Diskussion werden die folgenden Stossrichtungen gestellt:
- Sparbillette: Kontingentierte, rabattierte Fahrausweise mit Fahrplanbindung.
- Kontingentierte, rabattierte Billette und Tageskarten
- Saisonal angepasste Tarife für Billette touristischer Transportunternehmen (für die ganze Schweiz in den gleichen Zeiträumen)
Die öV-Branche hat bisher nichts beschlossen. Es handelt sich hier um mögliche Stossrichtungen. Die öV-Branche startet deshalb eine breite Vernehmlassung. Diese wird Ende Mai 2013 abgeschlossen. Die Ergebnisse fliessen in die weitere konzeptionelle Ausarbeitung ein.
SEV zur Zukunft der Fahrausweise: Einführung der öV-Karte kritisch begleiten
Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals steht der geplanten öV-Karte kritisch positiv gegenüber. Sie hat aber klare Erwartungen an die Einführung; insbesondere dürfen die Berufsbilder dadurch nicht abgewertet werden.
Die technische Entwicklung ist eine Realität, die sich auch bei den Fahrausweisen im öffentlichen Verkehr nicht aufhalten lässt. Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV stellt sich deshalb nicht grundsätzlich gegen die Einführung der öV-Karte. Sie beurteilt diesen Prozess speziell aus der Sicht des betroffenen Personals: des Zugspersonals und des Verkaufspersonals.
«Der SEV wird die Einführung der öV-Karte kritisch begleiten, aber wir knüpfen daran klare Bedingungen», betont SEV-Präsident Giorgio Tuti. Der SEV wird keinen Stellenabbau akzeptieren, der durch die öV-Karte bedingt ist.
«Unser zentrales Anliegen ist, dass die Berufe dadurch nicht abgewertet werden», ergänzt Tuti. Die Kundinnen und Kunden sind weiterhin auf kompetente Beratung und Unterstützung an den Verkaufsstellen und in den Zügen angewiesen. «Die Automatisierung bei den Fahrausweisen darf nicht zu einer Enthumanisierung des öffentlichen Verkehrs führen», fasst Tuti die Einstellung des Verkehrspersonals zusammen.
Der SEV ist bereit, konstruktiv an der Einführung der öV-Karte mitzuarbeiten. Er erwartet, dass VöV und SBB das Zug- und Verkaufspersonal aktiv in die kommenden Planungs- und Entwicklungsschritte einbeziehen. Giorgio Tuti erklärt abschliessend: «Wir wünschen uns eine Win-Win-Situation: Dass dank der neuen Karte die Arbeit attraktiver wird, und solange die Betriebe diese Absicht teilen, werden wir konstruktiv mitwirken.»
Stellungnahme Pro Bahn Schweiz
Eine Karte mehr …
Die Fülle der bestehenden Kreditkarten und anderen Karten wird ab 2015 mit der öV-Karte ergänzt werden, welche den Zutritt zu den öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtern wird. Sie soll nicht nur als Billet dienen, sondern auch weitere Zwecke erfüllen. Pro Bahn Schweiz, die Interessenvertretung der Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs begrüsst es, wenn auf diese Weise eine kundenfreundliche Lösung gefunden wird, die den Ansprüchen des Datenschutzes genügt.
Bewährtes beibehalten
Auch mit der Einführung der öV-Karte bleiben Halbtax- und Generalabonnement bestehen, eigentlich nichts Neues – wenn aber mit der gleichen Karte noch zusätzliche Dienstleistungen wie Konsumationen im Speisewagen, von der Minibar oder Velo- oder Automiete bezogen werden können, darf die Einführung der öV- Karte als Fortschritt bezeichnet werden.
Verlängerung als Schwachpunkt
Wird eine öV-Karte eingekauft, so erneuert sich ihre Gültigkeit nach Ablauf der Frist um ein weiteres Jahr, wie das bei Krankenkassen oder anderen Dienstleistungen der Fall ist. Dies vermag zwar Umtriebe vermeiden, aber ebenso gut solche schaffen, dann nämlich, wenn der Kündigungstermin aus irgendeinem Grund verpasst wird. Pro Bahn Schweiz erwartet, dass solche Probleme auf kulante Art und Weise gelöst werden, sonst könnte sich diese Kartenverlängerung als Schwachpunkt herausstellen, was es zu vermeiden gilt.
Das öV-Billett von Morgen entwickeln: öV-Karte, Anhörung Preis- und Sortimentspolitik
Die LITRA begrüsst die vom Verband öffentlicher Verkehr (VöV) kommunizierten Entscheide zur öV-Karte und zur mittelfristigen Preis- und Sortimentsentwicklung. Damit der öffentliche Verkehr weiterhin attraktiv bleibt und seine tragende Rolle für die Volkswirtschaft wahrnehmen kann, ist nicht nur das Schienen- und Strassennetz für die Zukunft zu wappnen, sondern auch das Billettsystem.
Heute sind über zwei Milliarden Reisende pro Jahr mit dem öffentlichen Verkehr der Schweiz unterwegs. Sie können sich dabei auf ein einfaches Preissystem verlassen, das ihnen ohne Verkehrsmittel- oder Zeitbindung einen umfassenden Mobilitätszugang bietet. Mit der Tarifgemeinschaft «ch-direct» umfassen die Billette Leistungen von über 150 Transportunternehmen, seien es bspw. der SBB, der PostAuto, der BLS, der SOB oder der Rhätischen Bahn. In den Städten und Agglomerationen kann andererseits auf bequeme Verbundsabos zurückgegriffen werden.
Trotz dieser Erfolgsfaktoren ist das öV-Billett-System – seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts historisch gewachsen – in die Jahre gekommen. Die Billette und Abonnemente sind zu wenig flexibel auf die Bedürfnisse und Mobilitätssituationen der Kundinnen und Kunden zugeschnitten. Auch können unbestrittene Faktoren der Preisbildung nur unzulänglich abgebildet werden. Gleiches gilt für die technische Seite: die Distributionssysteme sind bisweilen in die Jahre gekommen.
Die LITRA begrüsst deshalb ausdrücklich, dass die im Verband öffentlicher Verkehr zusammengeschlossenen Transportunternehmen gemeinsam das öV-Billett von Morgen entwickeln: Die öV-Karte – ein erster Schritt eines E-Ticketings – hat als Plattform Entwicklungspotential. Sie kann schrittweise verschiedene Fahrausweise und ergänzende Angebote im Bereich Mobilität integrieren, wie bspw. die kombinierte Mobilität, Gastro- oder touristische Angebote. Dabei sind die Bedürfnisse aller beteiligten öV-Unternehmen und deren spezifischen Kundeninteressen zu berücksichtigen. Die LITRA begrüsst ebenso die gestartete Anhörung zur Weiterentwicklung des öV-Sortimentes. Zwei Schwerpunkte bilden dabei die Schliessung der «Abo-Lücke» zwischen den General- und Streckenabonnementen und den Abonnementen der Verbunde und sowie attraktive Angebote für die Jugend.
Das öV-Billett von Morgen wird jedoch nicht von «Heute auf Morgen» Realität, sondern muss sorgfältig und auf Basis der heutigen Erfolgsfaktoren umgesetzt werden: GA, Halbtax, Tageskarten oder Einzelbillette bleiben genauso erhalten, wie ein offenes System und ein Basisangebot ohne Verkehrsmittel- oder Zeitbindung. Auch die Tatsache, dass jede zweite Schweizerin und Schweizer ein öV-Abo besitzt und die Politik klare Forderungen wie zum Beispiel eine verstärkte Nutzerfinanzierung stellt, macht deutlich, dass die Arbeiten verschiedensten Bedürfnisse Rechnung tragen müssen.
SRF "Echo der Zeit" vom 22. Februar 2013
Gefahr des gläsernen Fahrgasts
Der Datenschutz wird nach Angaben der beteiligten Unternehmen nicht ausgehöhlt. So soll beispielsweise nicht gespeichert werden, welche Strecke der Karteninhaber jeweils zurückgelegt hat. «Im Prinzip sieht das Kontrollpersonal nur, wer die Person ist, welches Abonnement sie hat und wann dieses abläuft», so Stückelberger weiter.
Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), begrüsst zwar, dass der Kartenwald etwas gelichtet wird. Doch die Entwicklung müsse man genau im Auge behalten. «Wir wollen keinen gläsernen Fahrgast», betonte Geschäftsführerin Sara Stalder.
Nach dem Wunsch der beteiligten Unternehmen soll es in einem weiteren Schritt möglich sein, auch Einzelbillette zu laden oder ein Ski-Abo. Auch beim Besuch im Speisewagen könnte die Karte zum Einsatz kommen. Zudem wäre die Abrechnung von unterschiedlich gestaffelten Ticketpreisen über die Karte möglich. Sie ist politisch aber noch weit von einem Durchbruch entfernt.
Kleinere Unternehmen fürchten Kosten
Für die Einführung der Karte rechnen die beteiligten Unternehmen mit Gesamtkosten von rund 40 Millionen Franken. Die Ausgaben sind auch ein Grund, warum sich gerade bei kleineren Transportunternehmen die Vorfreude noch in Grenzen hält. «Es ist noch nicht absehbar, wie hoch die Kosten sind und wer sie trägt», bemerkt Alexander Liniger, Sprecher der Appenzeller Bahnen. Er verweist etwa auf die Ausgaben für neue Lesegeräte. «Da sind noch einige Fragen offen.»