Rund vier Wochen nach dem Felssturz in Gurtnellen vom 05. Juni 2012 rollen im Verlauf des heutigen Montags wieder die ersten Züge über den bisher gesperrten Streckenabschnitt Erstfeld - Göschenen der Gotthard-Bahnlinie. Die wichtige Transitachse war seit dem Felssturz für den Zugverkehr unterbrochen und Güterzüge mussten weiträumig umgeleitet werden. Ab Montag, 2. Juli 2012 abends, ist die wichtige Nord–Süd-Achse wieder ohne Einschränkung doppelspurig befahrbar.
Das Geröll ist nun geräumt und die Arbeiten an den Geleisen sind abgeschlossen Foto: Marcel Manhart
Die Instandstellungsarbeiten der Gleise an der für den alpenquerenden Güterverkehr wichtigen Gotthard-Bahnlinie wurden in den frühen Morgenstunden abgeschlossen. Im Verlauf des Tages finden noch Testfahrten statt, damit die doppelspurige Strecke gegen Abend für den Güterverkehr wieder vollumfänglich zur Verfügung steht. Ab 3. Juli 2012 verkehren zudem auch die Züge des Personenverkehrs wieder fahrplanmässig über die Nord–Süd-Achse. Der Unterbruch der Gotthardlinie zwischen Erstfeld – Göschenen stellte nicht nur die Infrastruktur der SBB, sondern auch jene der BLS vor logistische Herausforderungen. Die sonst täglich rund 120 über die Gotthard-Route verkehrenden Güterzüge mussten weiträumig, ein Grossteil davon über die Lötschbergachse der BLS und weiter über den Simplon in Richtung Italien umgeleitet werden.
Bruno Stehrenberger, Leiter Betrieb bei SBB Infrastruktur, lobte deshalb anlässlich der Baustellenbegehung in Gurtnellen auch die Zusammenarbeit mit allen Partnern: „Nur dank dem engen und offenen Informationsaustausch mit den Bahnen und Transportpartnern aus dem In- und Ausland war es überhaupt möglich, den Verkehr über die Schweizer Ausweichrouten optimal zu planen und den Güterverkehr trotz Kapazitätsengpässen während der vierwöchigen Sperre abzuwickeln. Die Kapazitäten in der Schweiz am Simplon konnten dadurch von 90 auf geplante 135 Güterzugtrassen pro Tag gesteigert werden. Spitzentag war der 12. Juni als 113 Güterzüge durch den Simplon fuhren.“ Die Rangierbahnhöfe in Basel im Norden sowie in Domodossola (I) im Süden dienten dabei als Warteräume für den Güter-Transitverkehr.
Auch Toni Häne, Leiter Verkehrsmanagement bei SBB Personenverkehr zog eine durchwegs positive Bilanz. „Das Bahnersatzbuskonzept mit täglich 20–25 Extrabussen zwischen Flüelen und Göschenen hat gut funktioniert. Täglich rund zwei Dutzend Kundenbetreuern lenkten und betreuten die Kundinnen und Kunden auf den Umsteigebahnhöfen. Trotz des Bahnunterbruchs und längerer Reisezeiten reisten nebst den täglich rund 10 000 Kunden auch über 1000 Gruppen mit über 25 000 Teilnehmern in den Süden. Umbuchungen gab es kaum und wir erhielten sehr viel Lob von Kunden für die Leistungen der SBB während dieses Naturereignisses.“ Die Bahnersatzbusse verkehren auch noch am 2. Juli bis Betriebsschluss zwischen Flüelen und Göschenen auf der Autobahn.
Erst am 3. Juli werden auch sämtliche Personenzüge wieder über die Gotthard-Route fahren. Auch die während der Gotthard-Sperre angebotene Direktverbindung Zürich – Mailand via Lötschberg–Simplon wurde täglich von über einhundert Reisenden als Alternative für die Reise von und nach Italien genutzt. Knapp 5000 Anrufe verzeichnete zudem die kostenlose SBB-Hotline, welche den Kunden als Informationskanal während der gesamten Zeit des Gotthard-Unterbruchs zur Verfügung stand.
Fahrleitungs- und Gleisbauarbeiten
Albert Müller, Leiter Naturrisiken bei SBB, zeigte sich erleichtert, dass die Arbeiten in Gurtnellen planmässig am 2. Juli schon am frühen Morgen abgeschlossen werden konnten: „Die Bauleute der
SBB wie auch die beteiligten Partnerfirmen haben hervorragende Arbeit geleistet. Der Zeitplan war äusserst knapp bemessen. Jetzt finden noch Testfahrten statt, damit der Güterverkehr am Abend
wieder anrollen kann.“ Nach der Sprengung am 18. Juni 2012, bei welcher nochmals rund 2000 m3 Gestein weggesprengt wurden, mussten zuerst umfangreiche Hangsicherungsarbeiten vorgenommen werden,
bevor mit der eigentlichen Instandhaltung der Bahnlinie begonnen werden konnte. Fangnetze wurden zwischenzeitlich nicht nur über die abgesprengte Felspartie gespannt, sondern auch unterhalb des
Felsens über die ganze Breite der Abbruchstelle ein weiteres Netz montiert. Mehrere tausend Flugbewegungen mit Helikoptern waren notwendig, um Baumaschinen, Schutzmatten und Netze vor Ort zu
bringen. So konnte auch der zwischen der Felsabbruchstelle und Bahnlinie gelegene Hang mit Kokosmatten überdeckt und mit einem weiteren Netz befestigt werden. Pflanzenbewuchs soll dafür sorgen,
dass die Stelle bald wieder begrünt werden kann. Ebenso ist die Aufforstung von neuem Schutzwald vorgesehen. Im Felssturzgebiet von Gurtnellen werden die Schutznetze zudem mit Sensoren
ausgerüstet, um auch kleinste Bewegungen oder Steinschläge sofort zu registrieren.
Dank den umfangreichen Hangsicherungsmassnahmen konnten auch termingerecht die Instandhaltungsarbeiten auf der darunterliegenden Bahnlinie vorangetrieben und in Angriff genommen werden. Roberto Pedrazzini, Verantwortlicher Leiter dieser Arbeiten vor Ort, verbaute mit seinen Mitarbeitenden zweimal 170 Meter neue Schienen, das Schotterbett wurde komplett ausgetauscht und es wurden vier neue Mastfundamente für die neue Fahrleitung betoniert. Zudem wurden die durch den Felssturz ebenfalls zerstörten Fahrleitungen komplett erneuert. Die Instandstellungsarbeiten wurden teilweise im Dreischichtbetrieb durchgeführt, um den anspruchsvollen Zeitplan einzuhalten. Die Arbeiten am Gleis konnten in den frühen Morgenstunden abgeschlossen werden. Bevor der eigentliche Bahnbetrieb wieder aufgenommen werden kann, sind am 2. Juli noch einzelne Testfahrten vorgesehen, damit bis am Abend der Güterverkehr auf der Gotthardroute wieder anrollen kann.
Kosten im zweistelligen Millionenbereich
Alleine nur die Arbeiten in Gurtnellen werden Kosten in Höhe von rund 5–6 Millionen Franken auslösen. Rechnet man die Aufwendungen für Logistik, Personal und den Bahnbetrieb hinzu, geht die SBB
nach ersten Schätzungen von finanziellen Aufwendungen im zweistelligen Millionenbereich aus. Welche Kosten durch Versicherungen gedeckt und wer nun allfällige Schadenersatzansprüche im
Zusammenhang mit dem Naturereignis geltend machen kann, wird sich erst in einigen Monaten abschliessend beurteilen lassen. „Naturereignisse in dieser Grösse kommen äussert selten vor. Dank
jährlicher Investitionen von netzweit rund 30 Millionen Franken in Schutzwälder und Schutzbauten wie Galerien oder Lawinenverbauungen und der dauernden Beobachtung der Natur, ist der Bahnbetrieb
ohne grössere Einschränkungen überhaupt möglich“, so Albert Müller. Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2016, wird in rund vier Jahren auch am Gotthard eine Ausweichroute zur
Verfügung stehen, welche das Risiko von längeren Unterbrüchen im Nord–Süd-Verkehr weiter minimiert. Der 56 Kilometer lange Basistunnel Erstfeld–Biasca wird dereinst dafür sorgen, dass das
hochalpine Gebiet auf einem grösseren Abschnitt unterquert werden kann. Rund drei Viertel der heute 4000 Schutzbauten auf dem SBB-Netz befinden sich am Gotthard.