Unabhängige Expertengruppe prüft künftige Organisation der Bahn-Infrastruktur in der Schweiz

Bundesrat Moritz Leuenberger hat eine Expertengruppe eingesetzt, welche Vorschläge für die künftige Organisation der Eisenbahn-Infrastruktur in der Schweiz ausarbeiten wird. Die unabhängige Gruppe von Fachleuten steht unter der Leitung des früheren SBB-Personenverkehrschefs Paul Blumenthal. Sie wird bis 2012 umsetzbare Vorschläge für die künftige Ausgestaltung der Infrastrukturorganisation vorlegen. Die Expertengruppe wird von einem Leitorgan begleitet, die Geschäftsstelle wird vom Bundesamt für Verkehr (BAV) geführt.

In der Schweiz sind die Bahnen (wie SBB, BLS, SOB), als sogenannte integrierte Bahnen organisiert. Das bedeutet, dass die Infrastruktursparten direkt in die Bahnunternehmungen eingebunden sind und dem Einfluss der Konzern-Geschäftsleitung unterliegen. Gleichzeitig gilt im Güterverkehr der freie Netzzugang, bei dem verschiedene Güterbahnen das Netz einer Bahnunternehmung befahren können. Auch im Personenverkehr sind verschiedene Bahnen tätig. Wichtig ist, dass bei der Vergabe der Trassen (Durchfahrtsrechte auf der Bahn-Infrastruktur) alle Eisenbahn-Verkehrsunternehmen gleich behandelt werden. Die Ausgestaltung der Trassenvergabestelle in der Schweiz ist eines der Themen der laufenden Bahnreform 2.

Umsetzbare Vorschläge bis 2012                                                    Foto: Marcel Manhart


Um die künftige Ausgestaltung der Trassenvergabestelle oder die organisatorische und rechtliche Weiterentwicklung von Infrastruktur und Verkehr zu analysieren, hat Bundesrat Leuenberger nun eine Expertengruppe eingesetzt. Sie wird aus namhaften Exponenten des öffentlichen Verkehrs mit langjähriger, praktischer Erfahrung in der Führung von Eisenbahnunternehmen oder mit ausgewiesenen Kenntnissen des regulatorischen und technisch-betrieblichen Systems gebildet. Die Expertengruppe wird von einem Leitorgan begleitet, das sich aus dem Generalsekretär des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), dem Direktor des BAV, dem CEO der SBB AG und dem Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) zusammensetzt.

Die Expertengruppe soll bis im Frühling 2012 eine umfassende Analyse vorlegen. Als Ergebnis wird ein auf die Schweizer Bedürfnisse abgestimmtes, EU-kompatibles, unternehmerisch und verkehrlich sinnvolles Modell zur Sicherstellung des diskriminierungsfreien Netzzuganges (Trassenvergabestelle / Organisation Verkehr-Infrastruktur) erwartet.
Gemäss heutiger Planung wird das BAV nach dem Vorliegen des Berichts im zweiten Halbjahr 2012 eine Vernehmlassungsvorlage erarbeiten. Im Frühjahr 2013 soll eine Vernehmlassung durchgeführt werden.

 

Zusammensetzung der Expertengruppe

Die vom UVEK-Vorsteher eingesetzte Expertengruppe setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:

  • Paul Blumenthal (Leitung), ehemals Chef Personenverkehr der SBB
  • Hans Jürg Spillmann, ehemals SBB, Verwaltungsratspräsident der Rhätischen Bahn (RhB)
  • Erwin Rutishauser, bis Ende 2010 Direktor der Rhätischen Bahn (RhB)
  • Hans Flury,  ehemals Leiter Finanzen der BLS AG, Verwaltungsrat SOB
  • Prof. Dr. Dr. Matthias P. Finger, École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL)
  • Franz Kagerbauer, Direktor Zürcher Verkehrsverbund ZVV
  • Franz Steinegger,  Präsident des Verbands der verladenden Wirtschaft (VAP)
  • Herbert Kasser, Generalsekretär des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT)
  • Prof. Dr. Ulrich Weidmann, Eidg. Technische Hochschule Zürich (ETH)
  • alt Nationalrat Andreas Herczog, Leiter der Schiedskommission im Eisenbahnverkehr (SKE)
  • Petra Breuer, Stellvertretende Abteilungschefin Politik im BAV, Leiterin der Geschäftsstelle

Der Bundesrat regelt die Ausschreibungen im Personenverkehr und passt das Schweizer Bahnnetz an die europaweit einheitlichen technischen Normen an.

Er hat die Botschaft Bahnreform 2.2 ans Parlament überwiesen.

 

Interoperabilität und Sicherheit des europäischen Schienennetzes
Der zweite Schritt der Bahnreform 2 (Bahnreform 2.2) hat zum Ziel, das Schweizer Schienennetz an die europaweit geltenden technischen Standards anzupassen, und damit technische Hindernisse im grenzübergreifenden Schienenverkehr abzubauen (Interoperabilität). Dadurch können die entsprechenden Richtlinien der Europäischen Union (EU) übernommen werden. Diese sind  die rechtliche Basis für einen durchgehenden und sicheren Verkehr durch den ganzen Kontinent und tragen dazu bei,  die Bahnen gegenüber dem Strassenverkehr und der Luftfahrt konkurrenzfähiger zu machen.

 

Ausschreibungen im Personenverkehr
Weiter verankert die Bahnreform 2.2 die heute bereits gut funktionierenden Ausschreibungen im Busbereich auf Gesetzesstufe. Die Erfahrungen der letzten Jahre fliessen in die neuen Regelungen ein. Der Schienenpersonenverkehr wird mit einer Kann-Formulierung erfasst, auf eine weitere Detaillierung der rechtlichen Regelungen wird jedoch verzichtet, wie dies der Auftrag der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen verlangt. Insgesamt wird die Rechtssicherheit bei Ausschreibungen gestärkt.

 

Gestärkte Schiedskommission
Die Schiedskommission im Eisenbahnverkehr (SKE) wird gestärkt, indem ihre Funktionen rechtlich verankert werden. Die SKE kann neu von Amtes wegen Untersuchungen einleiten und Entscheide treffen, wenn der Verdacht besteht, dass der Netzzugang verhindert oder nicht diskriminierungsfrei gewährt wird.

 

Finanzierung der Vorhaltekosten der Wehrdienste
Zusätzlich wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, damit die Infrastrukturbetreiber neu einen Beitrag an die Vorhaltekosten der Wehrdienste leisten. Sie beteiligen sich damit an den Grundkosten, die den Kantonen durch das Bereitstellen von Feuerwehren und Rettungsdiensten entstehen.

 

Rechtliche Grundlage für Alkohol-Grenzwert
Das Führen eines Schiffes im Zustand der Angetrunkenheit ist bereits heute untersagt. Es gibt aber in der privaten Binnenschifffahrt keinen Grenzwert, aber welcher Alkoholkonzentration im Blut eine Person angetrunken ist. Ebenso gibt es keine Rechtsgrundlage für eine verdachtsfreie Atem-Alkoholprobe, wie dies im Strassenverkehr möglich ist. Im Rahmen der laufenden Bemühungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit  erhält der Bundesrat neu die Kompetenz, einen Blutalkohol-Grenzwert für das Führen von Schiffen festzulegen.

 

Optionen für künftige Trassenvergabe
Der Bundesrat hält am Ziel fest, die sogenannten Bahnpakete 1 und 2 der EU zu übernehmen. Diese verlangen unter anderem eine unabhängige und diskriminierungsfreie Vergabe der Trassen. Da derzeit die EU selbst die entsprechenden Richtlinien und Verordnungen überarbeitet, hat der Bundesrat im Juni 2010 entschieden, für die Ausgestaltung des diskriminierungsfreien Netzzugangs verschiedene Modelle vertieft zu prüfen. Dies gilt insbesondere für die Trassenvergabestelle, die Stelle, welche die Nutzungsrechte für das Schienennetz während eines bestimmten Zeitfensters vergibt. Dies wird in einer seperaten Botschaft erarbeitet.

Die Bahnreform ist ein rollender Prozess: Das historisch gewachsene Bahnsystem wurde mit der Revision des Eisenbahngesetzes (1. Januar 1996) und der Bahnreform 1 (1. Januar 1999) schrittweise umgestaltet. Im Jahre 2005 beauftragten die Eidgenössischen Räte den Bundesrat damit, die Bahnreform 2 in Teilpaketen vorzulegen.

 

Der aktuelle Stand: 
- Das erste Teilpaket der Bahnreform 2 ist die Revision der Erlasse über den öffentlichen Verkehr (RöVE) und trat am 1. Januar 2010 in Kraft.
- Das zweite Teilpaket ist Gegenstand dieser Vorlage.
- Das dritte Teilpaket umfasst die Neuordnung der Infrastrukturfinanzierung.

                    
Zudem wird der Bundesrat dem Parlament zu gegebener Zeit eine Vorlage zur Ausgestaltung der Trassenvergabestelle unterbeiten.