Seit gestern ist die gesamte Furka-Bergstrecke wieder in Betrieb

Am Donnerstag hat die Dampfbahn Furka-Bergstrecke den letzten Abschnitt der Eisenbahn über den Übergang in den Zentralalpen wieder in Betrieb genommen.

Damit kommt ein Unternehmen zum Abschluss, das anfänglich wenig Kredit genoss.

 

Von Urs Bloch - NZZ Online

 

Lohnt es sich, eine Eisenbahnverbindung zu unterhalten, die wegen des harten Winters nur an maximal fünf Monaten im Jahr betrieben werden kann? Der Ökonom sagt Nein. Der Eisenbahn-Enthusiast hingegen sagt Ja, denn er hat sich zuvor über die einmalige Streckenführung und das historische Rollmaterial ins Bild gesetzt. Und weil es viele Enthusiasten gibt, fährt am 12. August 2010 erstmals nach 29 Jahren wieder eine Zugskomposition von Realp ganz oben in Uri über den Furkapass nach Oberwald ganz oben im Wallis. Der Abschluss der Wiederinbetriebnahme der 17,8 Kilometer langen Meterspurlinie durch die Dampfbahn Furka-Bergstrecke (DFB) ist das Resultat von Begeisterung und beharrlichem Einsatz für das Kulturgut Eisenbahn.

Aufwand und Romantik
1926 hatte erstmals ein Dampfzug unter Mithilfe von Zahnstangen den Furkapass bezwungen. Die Strecke war landschaftlich attraktiv, insbesondere weil die Fahrt am Rhonegletscher vorbeiführte. Wegen der Schneemassen blieb die Verbindung aber während fast sieben Monaten im Jahr nicht befahrbar. Im Herbst mussten sämtliche Strommasten und Fahrdrähte demontiert werden, damit die Lawinen sie nicht zerstörten. Und im Frühling galt es, Zehntausende von Kubikmetern Schnee wegzuräumen. Mit der Eröffnung des Furka-Basistunnels hatten Aufwand und Romantik am Berg ein Ende.

Die FO war gesetzlich verpflichtet, die nicht mehr benötigte Linie abzureissen. Das geschah nicht unmittelbar nach der letzten Bergfahrt am 11. Oktober 1981, denn die Bergstrecke galt als Rückfallebene, falls der neue Tunnel nicht fristgerecht fertiggestellt werden sollte. Allmählich wuchs die Zahl derer, die fanden, auf die Demontage der Eisenbahn im Hochgebirge sei zu verzichten. Aus ihrem Kreise wurde 1983 ein Verein gegründet, der sich vorerst für dieses Ziel einsetzte. Stück für Stück ging es in den kommenden Jahren weiter. Dafür brauchte es Geld und Vertrauen; dafür musste eine Betriebsgesellschaft (die DFB AG) gegründet werden, und interne Querelen um die Prioritäten waren zu überwinden.

Parallel dazu setzten die Eisenbahnfreunde die Strecke instand und sanierten altes Rollmaterial. Von Beginn an war klar, dass nur mit Dampf gefahren werden sollte, dies auch, um sich nicht jeden Frühling mit Schäden an Fahrleitungen herumschlagen zu müssen. 1992 wurde der fahrplanmässige Betrieb auf dem Abschnitt Realp–Tiefenbach aufgenommen. Noch einmal acht Jahre später erreichte erstmals ein Dampfzug mit zahlenden Passagieren den historischen Pass-Ort Gletsch jenseits des kurzen Scheiteltunnels, der seither westliche Endstation war.

Nichts ohne Freiwillige
Natürlich behält auch der Ökonom recht. Die Eisenbahn mit musealem Charakter kann nicht rentabel betrieben werden – auch wenn die detailgetreu restaurierten Wagen sehr gut ausgelastet sind und sich die Reisenden die Fahrt etwas kosten lassen. «Das Geld reicht nie aus für Unterhalt und Betrieb», sagt Peter Bernhard, Geschäftsführer der DFB AG. Die DFB AG, Inhaberin der Konzession für die Furka-Bergstrecke, ist auf die Unterstützung des Vereins «Furka-Bergstrecke» mit seinen über 7500 Mitgliedern angewiesen. Sie sind in 23 selbständigen Sektionen in der Schweiz, in Deutschland, Belgien und in den Niederlanden organisiert.

Der Verein hat laut Geschäftsführer Bernhard zwei Hauptaufgaben: Er hilft, den Betrieb mitzufinanzieren, und ist ein grosses Reservoir von Freiwilligen. Die Dampfbahn hat weniger als zehn Festangestellte, einige von ihnen sind zudem nur saisonal tätig. Die meisten Arbeiten werden ohne monetären Lohn erledigt. Je nach Aufgabe treffen sich die Freiwilligen wochenweise zu Bauarbeiten an der Strecke, oder sie sind regelmässig in einer der Werkstätten in Chur (für Lokomotiven), Aarau (für Wagen) oder Realp tätig. Zwar lassen sich die Dampffahrten an der Furka inzwischen auch über Reiseveranstalter buchen. Die Vereinsmitglieder werben aber weiterhin an Messen oder in Einkaufszentren für ihre Bahn.

Neben dem Verein und der Betriebsgesellschaft sorgt inzwischen auch eine Stiftung für die finanzielle Unterstützung der Bahnlinie. Die professionellen Strukturen sind nicht zuletzt nötig, um die Bedingungen für eine Konzession des Bundes zu erfüllen. Eigentlicher Motor des Betriebs ist aber ein nicht geringes Mass an Verrücktheit im positiven Sinne – bestes Beispiel dafür ist die «Episode Vietnam». 1947, nach der Elektrifizierung der West-Ost-Verbindung durch die Zentralalpen, hatten vier von ursprünglich zehn FO-Dampflokomotiven den Weg ins damalige Indochina gefunden. Die Maschinen waren dort bis in die 1970er Jahre im Einsatz, ehe sie sich auf einem Abstellplatz allmählich in Rost verwandelten.

Dort erregten sie die Aufmerksamkeit von DFB-Vertretern. Nach zähen Verhandlungen in Hanoi gelang es ihnen 1990, die alten Lokomotiven zu erwerben. Ziemlich abenteuerlich war der Transport mit Tiefladern auf vietnamesischen Bergstrassen, via Seeweg nach Hamburg und schliesslich per Bahn in die Schweiz. Die verwegene Aktion hatte einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Wert. Sie machte der Öffentlichkeit den starken Willen für eine Wiederinbetriebnahme der Furka-Bergstrecke bewusst.

Geschäftsführer Bernhard hofft, dass neben den beiden «Vietnamesinnen», die wieder unter Dampf stehen, auch jene repatriierten Maschinen 2014 wieder einsatzfähig sind, die einst von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur in den 1920er Jahren direkt nach Asien geliefert worden waren. Denn diese Lokomotiven sind stärker als jene, die gegenwärtig eingesetzt werden. «Wir fahren immer am Limit», sagt Bernhard und erinnert daran, dass die dampfenden Schwerarbeiter alle um die 100-jährig sind.

Gletscher und Glacier-Express
Nicht ohne Stolz weist die DFB darauf hin, dass ihre Strecke nicht nur die kontinentale Wasserscheide passiert, sondern dass sie auch am einst mächtigsten Alpengletscher vorbeiführt. Während der weltbekannte Glacier-Express seit 1981 in Oberwald im Berg verschwindet, gibt es einige hundert Meter höher den Rhonegletscher zu bestaunen. Wollte er seinem Namen gerecht werden, müsste der Glacier-Express also wieder über die Furka fahren, zumal die DFB neuerdings über eine direkte Gleisverbindung mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn verfügt, der Nachfolgerin der FO. DFB-Geschäftsführer Bernhard hält durchgehende Fahrten «theoretisch» für möglich, umsetzen lässt sich das aber nicht einfach.

Die Dampfbahn verkehrt nur im Sommer an rund 70 Tagen, und eine (Re-)Elektrifizierung der ganzen Bergstrecke ist ausgeschlossen. Zudem setzt sie ausnahmslos nostalgisches Rollmaterial ein. Bernhard gibt überdies zu bedenken, dass mit der Inbetriebnahme des Abschnitts Gletsch–Oberwald die Bergstrecke um einen Drittel «verlängert» wird. Das hat längere Arbeitszeiten für Lokomotivführer und Betriebspersonal zur Folge. Stärker beansprucht wird auch das Rollmaterial, woraus kürzere Abstände für Revisionen resultieren. Fraglich ist auch, wie sich einzelne Fahrten über den Pass in den dichten Fahrplan der Matterhorn-Gotthard-Bahn einbetten liessen.

Trotzdem machen sich die Betreiber der Dampfbahn Gedanken über die Zukunft und die Erschliessung möglicher neuer Einnahmequellen. Beispielsweise prüfen sie, ob die Teilstrecke Oberwald–Gletsch mit dem 500 Meter langen Kehrtunnel allenfalls elektrifiziert und mit entsprechenden nostalgischen Lokomotiven befahren werden könnte. Damit würde man ein Angebot für Busreisende schaffen, die vom Wallis her kommen und ab Gletsch über den Grimselpass weiterfahren, und Tagesausflüge aus dem Goms ermöglichen. Insbesondere liessen sich Frequenzen erhöhen, ohne dass die Dampflokomotiven über Gebühr zusätzlich beansprucht werden müssten.

P. S. ⋅ Die Dampfbahn Furka-Bergstrecke (DFB) ist eine von drei Unternehmungen in der Schweiz, die vergangene Kapitel der Eisenbahngeschichte nicht nur aufschlagen, indem sie Fahrzeuge von anno dazumal fahrfähig erhalten, sondern auch ein Trassee unterhalten. Die DFB ist ein integriertes Bahnunternehmen mit allen Rechten und Pflichten; da sie keine Erschliessungsfunktion wahrnimmt und ihre Leistungen nicht subventioniert werden, ist sie bezüglich Betriebsperiode und Zahl der zu führenden Züge frei. Ihr Profil als Nonprofitorganisation mit einer breiten, unentgeltlich tätigen Basis von Mitarbeitern bzw. Mitgliedern entspricht jenem des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland (DVZO), der die in den 1970er Jahren auf Busbetrieb umgestellte Strecke Hinwil–Bäretswil–Bauma betreibt.

Pionierin unter den Museumsbahnen ist jene zwischen Blonay und Chamby (BC) oberhalb von Vevey. Sie hat sich dem Erhalt von schweizerischen Meterspur-Fahrzeugen verschrieben, die sie auch ausstellt. Dazu verkehrt sie seit 1968 regelmässig auf einem drei Kilometer langen Streckenabschnitt der Lokalbahnen Vevey-Montreux-Riviera, auf dem kein regulärer Personenverkehr abgewickelt wird. Erfolgreich ist dieses «Geschäftsmodell», das neben freiwilligen Mitarbeitern auch «Investoren» bedingt, nicht nur wegen der ungebrochenen Faszination der Eisenbahn, sondern auch wegen der zunehmenden Sehnsucht nach Entschleunigung und Zeiten, in denen noch nicht alles optimiert, automatisiert und verdichtet war. Anderswo ist das Modell der Non-Profit-Museumsbahnen verhältnismässig stärker verbreitet, weil dort nach dem Zweiten Weltkrieg mehr regionale Bahnlinien eingestellt wurden. Hierzulande wurden diese vielfach modernisiert, und sie nehmen neben touristischen nach wie vor regionale Erschliessungsfunktionen wahr.

 

 

 

Bericht SF Schweiz Aktuell vom 12. August 2010