Die Zahl der direkten grenzüberschreitenden Bahnverbindungen nach Italien ist auf einen Tiefststand gesunken

Die Uhren der italienischen Staatsbahnen ticken mehr denn je anders als jene diesseits der Alpen. Wo Trenitalia nicht mehr über die Grenze fährt, springen andere Bahnen in die Bresche.

Von Paul Schneeberger - NZZ Online

 

In der Schweiz erübrigen sich Worte über Mühen des grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs nach Italien. Im Dezember haben die SBB und Trenitalia das Kapitel Cisalpino geschlossen, das die Bewirtschaftung der binationalen Züge durch eine gemeinsame Tochtergesellschaft verheissen sollte, aber zu einem Synonym für Pech und Pannen wurde.

 

Seither wurden die schlecht beleumundeten alten und die noch an Kinderkrankheiten leidenden neuen Neigezüge auf die beiden Bahnen verteilt, und die Züge verkehren wieder wie früher in Kooperation mit klar an der Grenze geteilter Verantwortung. Die Pünktlichkeit ist seither auf beiden Achsen besser geworden, kann aber nach schweizerischen Massstäben noch nicht als gut bezeichnet werden. Im Tessin sind 70 Prozent der Züge, die von Zürich nach Mailand verkehren, mit weniger als 4 Minuten Verspätung unterwegs, in umgekehrter Richtung können nur 30 Prozent der Züge als pünktlich gelten. Hauptproblem ist die Betriebsführung in Italien, die unter anderem durch Bahnhöfe ohne Personenunterführungen behindert wird.

Die Gebrechen der alten Neigezüge werden durch einen Techniker an Bord entschärft. Ärger bereitet die Bord-Gastronomie, die Menus für 46 Franken 50 bisweilen in Kartongeschirr serviert. Laut SBB ist dies der Fall, wenn einer der Dispo-Züge eingesetzt werden muss, die in Zürich und Mailand verspätet ankommende Kompositionen ersetzen. Dort ist oft kein Wasser vorhanden. Zusammen mit der Auflösung des Cisalpino wurde die Zahl der direkten Züge zwischen der Schweiz und Italien reduziert. Insbesondere der Nachtzug nach Rom und die Tagesrandverbindungen zwischen dem Tessin und Mailand verkehren nicht mehr. Gemäss den SBB können die aus der Einstellung des Nachtzugs resultierenden Ertragsverluste mit den Tageszügen aufgefangen werden.

NZZ-Infografik/cke                                                Quelle: Thomas-Cook-Timetable

 

Trotz diesem Abbau werden keine anderen Eisenbahn-Grenzübergänge nach Italien von mehr direkten Personenzügen passiert als jene zur Schweiz in Chiasso und Domodossola. Das zeigt ein Vergleich anhand der Thomas Cook European Timetable (vgl. Karte), der auch die Reduktion dieser Angebote seit dem Jahr 2000 deutlich macht. Über drei der sieben überregionalen Grenzbahnhöfe verkehren keine internationalen Tageszüge mehr.

 

Der Fall ist das in Ventimiglia an der Hauptlinie entlang der italienischen und französischen Riviera, wo jeweils auf (Regional-)Züge der Nachbarbahn umgestiegen werden muss. Auf der Hauptachse von Udine nach Österreich verkehren noch zwei Nachtzüge, und das, obwohl dort vor zehn Jahren eine Neubaustrecke geschaffen wurde. Tagsüber bieten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) fünf Verbindungen mit Reisebussen bis nach Venedig an.

 

Auch am Brenner haben die ÖBB auf Basis der Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs in der EU das Zepter in die Hand genommen; dort füllten sie mit der Deutschen Bahn (DB) das Vakuum, das Trenitalia mit der Aufgabe der internationalen Züge über Bozen nach Innsbruck und München zu hinterlassen drohte. Seit Dezember verkehren fünf DB/ÖBB-Zugspaare München–Bozen, zwei davon fahren bis Verona weiter und je eines nach Mailand bzw. Bologna. Gezogen werden die Züge in Italien durch Lokomotiven der Bahngesellschaft FNM, die mehrheitlich im Besitz der Region Lombardei ist und sich von ihrem Portfolio her mit der BLS vergleichen lässt.

Das Desinteresse der finanziell maroden Trenitalia gründet in ihrer Konzentration auf den lukrativen ganz schnellen Binnenverkehr zwischen den grossen italienischen Zentren – Rom ist noch drei Stunden von Mailand entfernt. Verfolgen die italienischen Staatsbahnen diese Strategie weiter, dürften sie mittelfristig noch an zwei internationalen Verbindungen interessiert sein, auf die es auch die grossen Player von jenseits der Alpen abgesehen haben: an der (noch) stiefmütterlich behandelten durch den Mont-Cenis nach Paris und an jener via die Neat durch die Schweiz nach Frankfurt. Offen ist, wie sich die SBB positionieren werden. Zurzeit bemühen sie sich jedenfalls um Italien-Erfahrung – beispielsweise indem sie mit einer Bewerbung um den Regionalverkehr in der Region Piemont liebäugeln.