Gemeinden wehren sich gegen die neuen SBB-Tageskarten

Von Sebastian Meier - Der Bund

 

Die beliebten Gemeinde-Tageskarten (früher Flexi-Card) sollen ab Dezember 2010 teurer werden und nur noch ab 9 Uhr gültig sein. Vor allem in Randregionen stösst der Entscheid auf Skepsis. 

 

Seit einigen Jahren bieten die meisten Gemeinden ihren Einwohnern sogenannte Gemeinde-Tageskarten an. Das preiswerte Generalabonnement für einen Tag stösst seither schweizweit auf eine grosse Nachfrage. Aufgrund eines Entscheides des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV), dem auch die SBB angehören, sollen die Tage nun aber kürzer werden. Mit dem nächsten Fahrplanwechsel Mitte Dezember sollen die Fahrscheine an Werktagen erst nach 9 Uhr gültig sein.

In den Gemeinden stiess der Entscheid mitunter auf skeptische Reaktionen. Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) forderte deshalb jüngst die SBB-Direktion in einem offenen Brief dazu auf, den Entscheid zu überdenken. Die zeitliche Einschränkung ziele an den Bedürfnissen der Kunden vorbei und stelle den Sinn der Tageskarten grundsätzlich infrage.

Parallel zur eingeschränkten Gültigkeit werden auch die Preise für die Gemeinde-Tageskarten um 15 Prozent erhöht. Ulrich König, Direktor des SGV, sieht im Preisaufschlag aber nicht das Hauptproblem. In der Tendenz stelle er aber fest, dass durch Preiserhöhungen und gleichzeitigen Leistungsabbau vor allem die Randregionen benachteiligt würden. Als Beispiel nennt König die Gemeinde Herzogenbuchsee, der in jüngster Vergangenheit bereits verschiedene Früh- und Spätzugverbindungen ersatzlos gestrichen worden waren. «Im Gegenzug zu solchem Leistungsabbau stellen wir fest, dass die jährlichen Beiträge, welche die Gemeinden an die Kosten des öffentlichen Verkehrs zu entrichten haben, kontinuierlich ansteigen», sagt König. Es mangle folglich am Mitspracherecht bei derart einschneidenden Entscheidungen. Mit dem jüngsten Entscheid der SBB würden nun auch die Gemeinde-Tageskarten in peripheren Regionen «praktisch uninteressant».

In der Gemeinde Guggisberg stimmt man der Einschätzung des SGV zu. Bis anhin hat die Gemeinde täglich zwei Tageskarten angeboten und über das Jahr hinweg gut drei Viertel davon an den Mann gebracht. «Die Dienstleistung würde mit der Neuregelung sicher an Attraktivität verlieren», sagt Gemeindeschreiber Ueli Gafner. Er könne sich kaum vorstellen, dass jemand, der einen ganztägigen Ausflug plane, erst um 9 Uhr in Guggisberg abreise. Sollte die Nachfrage nach dem 12. Dezember tatsächlich abnehmen, müsste man folglich prüfen, ob die Gemeinde die Dienstleistung weiter anbieten kann.

Mit derselben Situation sieht sich die Gemeinde Madiswil im Oberaargau konfrontiert. Laut Gemeindeschreiber Andreas Hasler sind die Tageskarten auch hier sehr gefragt. Hasler ist aber skeptisch, ob dies mit den geplanten Einschränkungen auch weiterhin so sein würde. «Das Risiko trägt die Gemeinde, die bei sinkender Nachfrage auf den Tageskarten sitzen bleibt», sagt Hasler. Die Gemeinde investiere jährlich namhafte Beträge in die Dienstleistung, weshalb auch Madiswil gegebenenfalls prüfen müsse, ob das Angebot weiterhin aufrechterhalten werden könne.

Auch Hasler sieht in der jüngsten Entscheidung der SBB kein isoliertes Ereignis und ordnet die Massnahme in eine chronische Übergehung der Randregionen ein. Ein Symptom dieser Entwicklung sei die mangelnde Kommunikation zwischen Bundesbahnen und Gemeinden. Er habe erst durch die Anfrage des «Bund» von den geplanten Änderungen erfahren. Auch in Guggisberg wusste man gestern noch nichts von der geplanten Gültigkeitseinschränkung.

Weniger skeptisch gibt man sich im stadtnahen Muri. Hier wurden in den letzten Jahren über 95 Prozent der Tageskarten nachgefragt. «Ein Rückgang aufgrund der neuen Regeln ist sicher denkbar», sagt Gemeindeschreiberin Karin Pulfer. Mit einem Einbruch, der die Dienstleistung an sich infrage stellen könnte, rechnet sie aber nicht.

Die SBB rechtfertigen die Massnahmen einerseits mit dem Spardruck. Andererseits seien durch die Popularität der Tageskarten falsche Anreize entstanden, heisst es auf Anfrage. Die als «Schnupperabonnement» konzipierten Tageskarten seien von den Nutzern zunehmend als Alternative zu den teureren regulären Tageskarten benutzt worden. Viele Gemeinden hätten wegen der grossen Nachfrage ihre Kontingente erhöht, was wiederum zu einer Überlastung der Pendlerzüge geführt habe. Mit der zeitlichen Begrenzung könne man diese falschen Anreize korrigieren.